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Archiv-Artikel

Modernisierungsverlierer: Peer Steinbrück

taz-Jahresrückblick: Die inszenierte Koalitionskrise des Regierungschefs, die rot-grüne Einigung und der Gesichtsverlust

DÜSSELDORF taz ■ Am Ende redeten die Sozialdemokraten nur noch von „dem Tier“. Das Tier: Das war das Haushaltsloch. Dass fünf Milliarden Euro in der Kasse fehlen sollten, war am Ende der Koalitionskrise Ende Juni, kurz vor Verkündigung des ‚Düsseldorfer Signals für Konzentration und Erneuerung‘ als erneuertem Koalitionsvertrag, noch nicht klar. Was klar war: Es fehlten Milliarden. Massive Einsparungen mussten her, herbe, unpopuläre Einschnitte standen bevor. Bereits beschlossen war der Verzicht auf den Metrorapid, auf das sozialdemokratische Prestigeprojekt Nummer eins. Beschlossen auch: Einsparungen bei den Beamten, im sozialen Bereich. Nur: Niemand kannte genaue Zahlen. Und es war spät: Auf ein Uhr nachts standen die Uhren in der Düsseldorfer Staatskanzlei, in der sich der Koalitionsausschuss nun schon zum sechsten Mal traf, um endlich Auswege aus der von SPD-Ministerpräsident Peer Steinbrück selbst inzenierten, ohne Not über sechs Wochen verlängerten Regierungskrise zu finden.

„Jochen, rechne das noch einmal durch, und dann verkünden wir am Montag.“ Der Vorschlag von Ministerpräsident Steinbrück setzte auf Entspannung. Doch Nordrhein-Westfalens SPD-Finanzminister Jochen Dieckmann verneinte: Am Wochenende könne er nicht arbeiten – schließlich hätten er und seine Frau, Bonns Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann (SPD), Gäste. „Na, dann eben Dienstag“, lautete Steinbrücks resignierte Antwort.

Verständlich die Resignation: Die von Steinbrück inszenierte Regierungskrise ging in die siebte Woche, beherrschte bundesweit die Schlagzeilen – allerdings nicht im Sinne des Ministerpräsidenten, der sein Amt erst Monate zuvor angetreten hatte: „Peer der Schreckliche“ titelte der ‚Spiegel‘, „Steinbrück fordert Schröder heraus“ die ‚Süddeutsche Zeitung‘ – auf Seite eins. Peer Steinbrück, der Verlierer.

Dabei war der ehemalige NRW-Finanzminister mit einer fundierten Analyse in die Konfrontation mit seinem Koalitionspartner gegangen. Wie in ganz Deutschland ging die Konjunktur auch in NRW in die Knie. Steuerausfälle in Milliardenhöhe drohten, das Haushaltsloch, das böse Tier, das Monster, bedrohte die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit der Politik. Nötig schienen einschneidende Reformen, entschlossene Wirtschaftsförderung in Bund und Land. Mit den Grünen, so schien Steinbrück klar, war das derzeit nicht zu machen: Deshalb, so der Plan des Ministerpräsidenten, sollten die Grünen mit der Drohung des Koalitionswechsels hin zur FDP eingeschüchtert werden. Schon bald waberten in Düsseldorf Gerüchte von einer möglichen sozialliberalen Koalition.

Doch der Norddeutsche Steinbrück, Ex-Minister in Kiel, Ex-Büroleiter seines Vor-Vorgängers Johannes Rau, zeigte wenig politisches Gespür: Bundeskanzler Schröder konnte vor dem Sonderparteitag vom 1. Juni, auf dem er seine ‚Agenda 2010‘ durchbringen wollte, alles gebrauchen – nur keine Nachrichten von möglichen Koalitionen mit der an der Basis als neoliberal verschrieenen FDP. Erst recht nicht im größten Bundesland NRW, dem Stammland der Sozialdemokratie. Kein Koalitionsbruch vor dem 1. Juni, lautete die unmissverständliche Ansage des verärgerten Kanzlers, dessen Kurs Wirtschaftsförderer Steinbrück doch nur hatte unterstützen wollen.

Die Agenda rutschte durch, doch für die NRW-Basis war die Belastungsgrenze erreicht. Die wirtschaftsliberale FDP sei kein angemessener Partner, war aus immer mehr SPD-Ortsvereinen und Unterbezirken zu hören. Zwar versuchte Steinbrück auf dem bildungspolitischen Parteitag der SPD in Bochum noch einmal, den Ton zu verschärfen: Die Grünen seien für das schlechte Erscheinungsbild der Koalition verantwortlich, wegen ihrer Blockadepolitik könne die Landesregierung „keinen Schwung mehr in das Land“ bringen. Doch die sozialdemokratischen Delegierten forderten beide Koalitionspartner mit großer Mehrheit auf, die „schwierige Situation gemeinsam zu meistern“ – und schlossen sich der Position ihres Landesvorsitzenden Harald Schartau an, über einen Koaltionswechsel entscheide nur die Partei. Viele Delegierte beklagten, inhaltliche Kontroversen seien nicht erkennbar.

Kein Wunder: Konkrete Inhalte standen in Steinbrücks Strategie nie im Vordergrund – der Wunsch des Ministerpräsidenten nach mehr „rot pur“ blieb wenig konkret, eher getragen durch persönliche Abneigungen, etwa zu seiner verhassten grünen Umweltminsterin Bärbel Höhn. Deshalb liest sich das ‚Düsseldorfer Signal‘, Ergebnis der nach sieben Wochen zur Farce werdenden Koalitionskrisen-Inszenierung, als Dokument des Scheiterns der Sozialdemokraten: Die verkehrspolitisch unsinnige Schwebebahn mutierte zum Metro-Express, einer schnellen S-Bahn, deren Finanzierung bis heute nicht gesichert ist. Die Steinkohleförderung wird reduziert, ein von den Grünen gefordertes Gas-Kraftwerk kommt. Selbst bei der Verwaltungsreform bewegen sich die Sozialdemokraten. Im Gegenzug geben die Grünen ihren Widerstand gegen den Ausbau des Düsseldorfer Flughafens und der Autobahnen 1 und 33 auf.

Zuvor hatte Kanzler Schröder auf Druck der Grünen im Bund interveniert. Auch die NRW-Grünen zeigten sich ungewohnt geschlossen: Selbst Michael Vesper, der harmoniebedürftige stellvertretende Ministerpräsident, verweigerte auf Rat von Parteifreund Joschka Fischer Steinbrücks Drängen nach einer prinzipiellen Neujustierung der Koalitionsvereinbarung des Jahres 2000 – und servierte Steinbrück auf einem Treffen der Bauwirtschaft stattdessen ein riesiges Stück Erdbeertorte: „Hier hast Du rot pur.“ ANDREAS WYPUTTA