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Archiv-Artikel

Renovierung linker Erinnerungspolitik

Opium oder Opi um: Was bringt die Neufassung der Wehrmachtsausstellung? Zwischen dem 29. Januar und dem 28. März wird die Ausstellung letztmalig in Hamburg zu sehen sein. Kundgebungen linker wie rechter Gruppen angekündigt

Die Ausstellung thematisiert auch die Kontroversen um ihre erste Fassung selbst

von CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

Nach über zwei Jahren auf Tour kommt die Wehrmachtsausstellung in ihrer überarbeiteten Form nun auch nach Hamburg. Eröffnet wird am 29. Januar. Kampnagel, wo die Schau in ihrer ursprünglichen Version 1995 erstmalig der Öffentlichkeit vorgestellt worden war, soll auch ihre letzte Station sein.

Die NPD plant bereits eine Kundgebung unter dem Motto „Reemtsma lügt! Wahrheit siegt!“. Eine Demonstration linker Gruppen soll den Auflauf der Rechten am 31.1. verhindern. Der Verfassungsschutz warnte Mitte Dezember reflexartig, der „antifaschistische Einsatz“ richte „sich tatsächlich gegen den Staat“. Nimmt man diese drei Reaktionen exemplarisch fürs Ganze, könnte der Eindruck entstehen, in den Jahren, die die Wehrmachtsausstellung bereits unterwegs ist, habe sich weder etwas daran verändert, wie über den Nationalsozialismus in Deutschland gesprochen beziehungsweise geschwiegen wird, noch an der Ausstellung selbst.

Tatsächlich wurde im Laufe dieser Zeit, unter wechselseitiger Beeinflussung, zwischen den Ausstellungsmachern und ihren Kritikern eine Art Kompromiss ausgehandelt: darüber, wie die Rolle der Wehrmacht bei der Vernichtung der europäischen Juden oder beim Mord an russischen Kriegsgefangenen einzuschätzen sei.

Der Streit

Öffentliche Gegnerschaft schlug der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“, so damals der Titel, erstmals im Februar 1997 entgegen. Knapp zwei Jahre nach ihrer Eröffnung bildete sich im Zuge der Goldhagen-Debatte anlässlich der Präsentation der Ausstellung in München ein breites Bündnis aus Konservativen und Ultra-Rechten, um gegen die Kollektivschuld-Behauptung mobil zu machen. Wiederzuerkennen glaubte man sie in der Ausstellungsthese von einer aktiven Beteiligung der Wehrmacht „als Gesamtorganisation“ an den im Zweiten Weltkrieg verübten Verbrechen.

Die Bemühungen, eine Präsentation der Ausstellung im Rathaus zu verhindern, führten zwar lediglich die Wehrmachtsausstellung zu einem Erfolg: 90.000 Besucher wollten nach den Kontroversen in München den Stein des Anstoßes sehen, so viele wie in keiner Stadt zuvor. Doch bereits an ihrer nächsten Station, in Bremen, konnte die Ausstellung im Rathaus nur nach Aushandlung eines Kompromisses gezeigt werden. Die in Großer Koalition mit der SPD regierende CDU setzte durch, dass am Eingang zur Ausstellung der Hinweis platziert wurde, über 18 Millionen Soldaten könne kein Pauschalurteil gefällt werden.

Schon früh dehnte sich die Kritik am verallgemeinernden Gestus der Wehrmachtsausstellung auch auf das präsentierte Material aus: Seine Basis sei zu schmal und vieles quellenkritisch nicht hinreichend geprüft. Aber erst im November 1999, nachdem Vorwürfe der Historiker Bogdan Musial, Krisztián Ungváry und Dieter Schmidt-Neuhaus, einzelne Fotos der Ausstellung seien falsch zugeordnet (zeigten etwa Exekutionen des NKWD und nicht der Wehrmacht), erneut Debatten in der Öffentlichkeit ausgelöst hatten, zog der Leiter des Instituts für Sozialforschung, Jan Philipp Reemtsma, die Ausstellung zurück. Eine unabhängige Historikerkommission sollte das Material einer gründlichen Überprüfung unterziehen. Doch die Geschichte der ersten Wehrmachtsausstellung ist keine der Niederlagen. Bis zu diesem Zeitpunkt zählte die Ausstellung 800.000 Besucher, neben zahlreichen Länderparlamenten hatte am 13. März 1997 zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte der Bundestag zum Thema debattiert. Das Bild von der „sauberen Wehrmacht“ wurde zwar von einer Minderheit immer noch verbissen verteidigt, doch so, wie es nach Kriegsende 50 Jahre lang in der breiten Öffentlichkeit vorgeherrscht hatte, war es jetzt nicht mehr zu halten.

Der Kompromiss

Der Bericht der Untersuchungskommission, vorgelegt im November 2000, erbrachte dreierlei. Erstens das Ergebnis, dass „weniger als 20“ Fotos falsch zugeordnet gewesen waren. Zweitens eine vollständig neu ausgerichtete Ausstellung. Drittens den Anstoß für eine Neuaushandlung der deutschen Erinnerungspolitik. Folgenschwerer als die – angesichts einer Gesamtzahl von 1433 Fotos – lässliche Fehlerquote beim ausgestellten Material wog nämlich die Kritik der Kommission am staatsanwaltlichen Gestus der Präsentation. Als Reemtsma kurz darauf seine Entscheidung zu einer Neukonzeption mit der Entlassung des Ausstellungsleiters Hannes Heer besiegelte, war zugleich die anklagende Form linker Erinnerungspolitik insgesamt an ihr Ende gekommen.

In den Debatten um die Wehrmachtsausstellung hatte sich noch einmal mit großer Deutlichkeit gezeigt, dass diese seit Mitte der 60er praktizierte Thematisierung des Nationalsozialismus von links bei ihrem Gegenüber den Reflex der Erinnerungsabwehr nicht selten verstärkt. Es ist nicht auszuschließen, dass erst der partielle Erfolg der Wehrmachtsausstellung die Gelassenheit hervorgebracht hat, mit der eine Generation von Linken jenen anklagenden Gestus verabschieden konnte.

Die Ende November 2001 in Berlin eröffnete Neufassung der Ausstellung, nun unter dem Titel „Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskriegs 1941-44“, hält im Kern an der Aussage der ersten Version fest: Die Wehrmacht als Institution und in Teilen ihrer Gliederungen war an Kriegsverbrechen beteiligt. Die Ausstellung thematisiert auch die Kontroversen um ihre erste Fassung selbst. Ein Teilabschnitt ist den Problemen gewidmet, die Fotos als Dokumente für die historische Forschung aufwerfen.

Als die neue Ausstellung im Herbst 2002 in München Station machte, stimmt die dortige CSU-Fraktion zusammen mit SPD und Grünen einer Resolution zu, in der sich folgende Zeilen fanden: „Mitschuld von Teilen der Wehrmacht, vor allem der Führung, an Verbrechen des Nationalsozialismus kann und darf nicht geleugnet werden.“ Sicherlich lässt sich auch daran einiges kritisieren. Doch noch vor wenigen Jahren, als die CSU den Protest gegen die Ausstellung in München anführte, hätte niemand für möglich gehalten, dass eine solche Äußerung von dieser Seite je möglich sein würde.

Es gibt Stimmen, die der Neufassung der Ausstellung vorwerfen, mit ihrer „Ausgewogenheit“ bloß eine geringfügig veränderte Rhetorik der Erinnerungsabwehr befördert zu haben, einen Diskurs der Versöhnung zwischen den Generationen, ein neues deutsches Nationalbewusstsein (nachzulesen z.B. im Aufruf zu der Gegendemonstration am 31.1.). Daran ist richtig, dass allein schon die Rede von Erinnerungs-“kultur“ die politische Herausforderung still stellt, die eine Vergegenwärtigung dessen, was im Nationalsozialismus passiert ist, bedeutet. Zu reden wäre über die Ursachen, die bis heute fortwirken. Doch über Kontinuitäten, etwa zur Bundeswehr, schweigt die Ausstellung nicht. Über Auslandseinsätze muss sie nicht sprechen. Dafür gibt es andere Orte. Wenn dort nicht darüber gestritten wird, lässt sich das schwerlich der Ausstellung anlasten.

Eröffnung: 29.1., Kampnagel; Begleitprogramm: www.verbrechen-der-wehrmacht.de