: „Die Brosamen vom amerikanischen Tisch“
Die deutsche Wirtschaft bewegt sich erfolgreich im Spagat zwischen Saddam und seinen potenziellen Nachfolgern
Es waren goldene Zeiten für die deutsch-irakischen Wirtschaftsbeziehungen. In den Achtzigerjahren war der Irak wichtigster Handelspartner der Deutschen im Nahen Osten. Noch 1989 exportierte die Bundesrepublik Waren für reichlich 2 Milliarden Mark in den Irak.
Mit der Invasion Kuwaits 1990 und dem daraufhin verhängten UN-Embargo gegen den Irak gingen die deutschen Ausfuhren stark zurück. Nur rund 22 Millionen Mark erfasst die Exportstatistik des Statistischen Bundesamtes für 1991, noch einmal 50 Prozent weniger für das Folgejahr. Das änderte sich ab 1996 mit der Einfuhrung des „Oil For Food“-Programmes und ab 1998 mit einer von Rot-Grün betriebenen stärkeren Wirtschaftsförderung in der Region.
So sei im Herbst 1999 „eine grundlegende Änderung der Haltung der Bundesrepublik“ eingetreten, „ohne dass sich die Embargovorschriften wesentlich geändert hatten“, heißt es in einem Bericht des in Dubai ansässigen deutschen Juristen Rolf Meyer-Reumann. Mit einer Delegationsreise in Begleitung des „der Wirtschaft nahe stehenden“ Diplomaten Claude Robert Ellner zur Internationalen Messe in Bagdad im November 1999 sei ein „neues Kapitel in den deutsch-irakischen Beziehungen geöffnet“ worden, so Meyer-Reumann. Ellner war im Oktober 1999 als Geschäftsträger der deutschen Botschaft im Irak entsandt worden, wo er bis 2001 zunächst von der jordanischen Hauptstadt Amman aus agierte.
Um alte Geschäftskontakte wieder zu beleben und neue zu knüpfen, brach im Mai 2000 eine etwa achtzigköpfige Delegation zu einer vom Bundesverband der deutschen Industrie organisierten Reise nach Bagdad auf. Anwalt Meyer-Reumann bezeichnet die Delegation „nach internationalen Maßstäben“ als „extrem stark“.
BDI-Geschäftsführer Ludolf von Wartenberg, Vertreter von Wirtschaftsministerium und Auswärtigem Amt absolvierten Empfänge bei fast allen irakischen Ministern und bekamen mehrfach zu hören, dass sich Deutschland doch lieber eine eigene Meinung bilden solle, als die der Amerikaner und der Briten zu übernehmen. Zwar wisse man um die hohe Qualität deutscher Produkte, jedoch sei die das Embargo stützende politische Zurückhaltung der Bundesregierung ein Grund, warum Deutschland keine Präferenz bei der Auftragsvergabe erhalte.
Rund 50 Aussteller präsentierten sich im November 2000 auf der Internationalen Messe in Bagdad. Im Jahr darauf waren es bereits 112, die der Einladung des Münchener Messeveranstalters Imag im Rahmen einer „geförderten Teilnahme“ folgten. Damit stellten die Deutschen das größte ausländische Kontingent. Im deutschen Angebot: Klima- und Medizintechnik, Fahrzeuge, Bau-, Textil- und Werkzeugmaschinen. Mit dem „lebhaften Interesse“ zufrieden – so war schon damals das Fazit des Münchner Messeveranstalters Imag, der den deutschen Auftritt managte. „Weitere Steigerungsraten bei stabiler politischer Lage sind prognostiziert“, heißt es im Abschlussbericht der Imag.
Vom ersten bis zum 10. November 2002 gab sich die interessierte Wirtschaft wieder ein Stelldichein in Bagdad – während am 8. November der UN-Sicherheitsrat in New York die Resolution 1441 verabschiedete. Mit 101 Ausstellern war die deutsche Delegation in Bagdad wieder die größte.
„Unser Auftritt dort fand auf ausdrücklichen Wunsch der Bundesregierung statt“, sagt ein Siemens-Sprecher der taz. Man habe ohnehin nur Prospekte ausgelegt. Momentan liefere der Münchener Konzern Ersatzteile für Energieverteilungsanlagen und Medizintechnik in den Irak. Die von der Financial Times genannten Siemens-Exportsummen von insgesamt 200 Millonen Euro in den Geschäftsjahren 1999 bis 2001 wollte der Sprecher nicht bestätigen. Momentan zeige man nur Präsenz auf der Bagdader Messe, heißt es auch beim Industriegasanlagenbauer Linde. Geliefert werde nicht in den Irak.
Die Firmen bauen vor für einen embargofreien Wirtschaftsaufschwung. Sie hoffen, so Jochen Münker, Nahostexperte des Deutschen Industrie- und Handelskammertages DIHK, in einem Interview des ZDF, dass nach einem Sturz Saddams „die zweite Ebene in den Ministerien nicht ausgetauscht wird, so dass die Geschäftspartner erhalten blieben“.
Im Spagat zwischen der „Wandel durch Handel“ -Philosophie und der für Geschäfte im „Oil-for-food“-Programm nötigen Nähe zu Saddams Vertrauten scheinen die Deutschen recht erfolgreich zu sein. Bereits 2001 fiel der Exportumfang mit 658,2 Millionen Mark mehr als doppelt so groß aus wie im Vorjahr (273,3 Millionen Mark, Quelle: Statistisches Bundesamt). Eine weitere Steigerung verhieß im Juni letzten Jahres der irakische Handelsminister Mohamed Mahdi Salih. Er gab bekannt, dass seine Regierung beschlossen habe, „der wirtschaftlichen Kooperation mit Deutschland eine Priorität einzuräumen“. Als Grund wird ausdrücklich die Ehrerbietung des Irak für die Demonstrationen der Deutschen anlässlich des Bush-Besuches im Mai genannt. Geschäftsfördernd dürfte außerdem der Verzicht einiger deutscher Firmen auf Schadenersatzzahlungen aus der Zeit der beiden Golfkriege gewirkt haben.
Weil der Irak momentan weniger Öl fördere, als er dürfe, und damit auf dem UN-Treuhandkonto eine Deckungslücke entstehe, sei das Geschäft dort „zunehmend uninteressant“ erklärte kürzlich DIHK-Vertreter Münker. Darüber wundert sich Ulrich Burkhardt von der Imag, der den Irak als „interessanten Wachstumsmarkt“ bezeichnet. Dafür spräche auch die Zahl der in Bagdad vertretenen deutschen Aussteller. Zwar brauchten deutsche Unternehmer wegen der „Erschwernisse“ durch das Embargo „viel Administration, viel Zeit, Geld und Geduld“, aber deutsche Produkte „egal in und aus welchen Branchen“ seien im Irak grundsätzlich gefragt, so Burkhardt.
Zu Machtwechsel und Krieg im Irak befragt, werden Politiker, Firmen- oder Verbandsvertreter jedoch schweigsam. Beim Wirtschaftsministerium heißt es: „Dazu im Moment keine Interviews.“ „Es gibt einfach zu viele Unterstellungen seitens der Medien“, sagt Helene Rang, Vorsitzende des Nah- und Mittelostvereins der deutschen Wirtschaft. Die Bundesrepublik habe äußerst streng auf die Einhaltung der internationalen Spielregeln geachtet. Im Übrigen solle keiner den Blick für den geringen Umfang der Exporte verlieren.
Etwas deutlicher wird Harald Bock, Generalsekretär der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. „Für die deutsche Wirtschaft wäre es besser gewesen, Bush hätte die Sache vor zwölf Jahren in Ordnung gebracht“, sagt Bock auf die Frage, wie deutsche Unternehmen zu einem Krieg im Irak stünden. „Nun hoffen alle darauf, die Brosamen vom amerikanischen Tisch essen zu dürfen.“ ANETT KELLER