: Der Filtertüten-von-gestern-Typ
Frühstücksrituale: Wen wir warum nach der ersten Mahlzeit des Tages mögen
L. A. am frühen Morgen. Wir sehen ein kleines, schäbiges Büro. In der Ecke steht ein Bett, auf dem Paul Newman liegt und an die Decke starrt. Gegenüber an der Wand läuft der Fernseher. Der Wecker klingelt. Newman haut das Gerät vom Nachttisch. Er knipst den Fernseher aus und schlurft ins Bad. Schnitt auf Newman. Er steht in Unterwäsche vor dem Spiegel und spritzt sich Wasser ins Gesicht. Schnitt auf die kleine, schäbige Kochnische. Newman, jetzt frisch rasiert, in kurzärmeligem Hemd und Hose, hat Kaffeewasser aufgesetzt. Er greift sich eine Filtertüte, faltet sie zweimal und steckt sie in die Kaffeemaschine. Dann nimmt er die Kaffeedose, schüttet Kaffee in den Filter – aber die Dose ist leer. Kein Kaffee da. Newman guckt säuerlich. Schnitt auf den Mülleimer. Als Newman den Deckel hebt, sieht er den Kaffeefilter von gestern. Er zieht ihn samt Kaffeesatz heraus und steckt ihn in die Maschine. Schnitt auf eine dampfende Tasse Kaffee. Newman nimmt einen Schluck. Auf seinem Gesicht spiegelt sich das Grauen. Er stellt die Tasse ab und geht aus dem Zimmer – vorbei an der gerahmten Fotografie einer lächelnden jungen Frau, der er beiläufig zuwinkt. Schnitt auf Newman, der aus einem Schrank Pistole und Schulterhalfter zieht und anlegt. Schnitt auf Newman, der das Büro verlässt. Als er die Tür schließt, sieht an ein Schild mit der Aufschrift: „Lew Harper. Privatdetektei“. Im Hintergrund wischt der Hausmeister den Flur.
Als Drehbuchautor William Goldmann die Premiere seines Film „Ein Fall für Harper“ verfolgte, lachten die Leute laut an der Stelle mit dem Kaffeefilter, wenn Newmann probiert und angewidert das Gesicht verzieht. Von da ab wusste Goldmann, das Publikum würde den Film mögen, „es hatte Lew Harper gern“.
Nun sind Leute, die gebrauchte Filtertüten aufbrühen nicht gerade die Krone der Schöpfung. Leute, die allein in schäbigen Löchern hausen und mit dem Fernseher reden, auch nicht. Vielleicht gab es da mal eine Frau, jetzt gibt es nur noch ein Foto. Vielleicht hat sie ihn verlassen, vielleicht steht sie nicht auf den Filtertüten-von-gestern-Typ. Oder auf das Die-Geschäfte- sind-schon-mal-besser-gelaufen-Modell. Doch wir mögen Harper. Weil er – anders als die meisten von uns – morgens um sieben mit sich im Reinen ist, ein Stoiker, den weder entlaufene Lebensabschnittspartner, noch ein Koffeindefizit aus der Bahn werfen können. Harper schnallt sich die Kanone um und wird wie jeden Tag ein wenig Dreck wegräumen. Das wird die Welt nicht besser machen, aber irgendwer muss den Job ja erledigen.
Leider ist unser Alltag kein B-Movie. Sondern kompliziert, und wir reagieren darauf hochneurotisch. Besonders morgens. Es soll Menschen geben, denen schon der Anblick ihres Stuhlgangs den Tag verhagelt. Andere verelenden, wenn sie den Wirtschaftsteil ihres Intelligenzblatts studieren oder Franz Müntefering im Frühstücksfernsehen „Agenda 2010“ sagen hören. 65 Prozent der deutschen Bevölkerung leiden unter Waschzwang und fühlen sich ohne Wechseldusche und Bodylotion wie ein stinkender Putzlappen. Wieder andere glauben, wenn sie um acht ihre Vitaminpillen vergessen, haben sie spätestens um neun Prostatakrebs.
Mental schon vollends derangierte Health Angels beugen vor und beißen morgens todesverachtend in schwedische Getreideplatten, schütten linksdrehende Bakterienkulturen und ungeschrotete Körner in den Magentrakt. Dann hecheln sie zehn Kilometer durch den Stadtwald bis der ganze Brei wieder hochkommt. Und wozu die ganze Schinderei? Um nachher in Großraumbüros herumzuhocken und so auszusehen, als mache das Spaß. Es macht aber keinen. Entsprechend armselig steht es um das Frühstück.
Vorbei die Zeiten, da Honoré de Balzac den Tag gegen zwölf Uhr mit einem Schoppen Roten und zwei Makkaronitörtchen einläutete, sich Kleists Dorfrichter Adam vor dem Prozessieren erstmal über „Würste aus Braunschweig“ hermachte oder Anderl Heckmair gemütlich „sechs Spiegeleier mit heißem Kakao“ hinunterspülte, ehe er die Schuhe schnürte und in die Eiger-Nordwand stieg.
Stattdessen Stress, schlechte Laune und Kaffee in finalen Dosen. Schon Fontane berichtet, „er habe mal von einem gehört, der bei Josty, weil er so gewettet hatte, zwölf Tassen Kaffee trank und dann tot umfiel.“ Der moderne Mensch kann es selbstverständlich mit Jane Fonda oder Franz Kafka halten, der dem Protagonisten im „Prozess“ morgens nur noch „einen Apfel“ gönnt. Dass es kultivierter geht, bewies E.T.A. Hoffmann. Der Herr Gerichtsrat ließ zum Frühstück gleich einmal „Leipziger Lerchen und Danziger Goldwasser“ auffahren und gehört damit in die Liga Hemingway, der nach dem Aufstehen in aller Seelenruhe „zwei Highballs oder zwei Tom Collins“ verklappte. Man mag einwenden, es sei den beiden nicht sonderlich gut bekommen. Aber wir haben sie immer noch sehr gern.
MICHAEL QUASTHOFF