Gar kein Thema

Viagra bekommt Konkurrenz durch Levitra. Doch ein Problem bleibt: Über ihre Erektionsprobleme reden Männer nur äußerst widerstrebend

von BERND FESTERLING und CHARLY KOWALCZYK

„Ich habe eigentlich nie mit jemandem darüber gesprochen“, sagt Dieter. „Erst in den letzten Jahren mit Personen, mit denen ich sehr offen umgehen kann – und davon gibt’s nur sehr wenige.“ Ähnlich wie der 61-jährige Elektroingenieur reagieren die meisten Männer, wenn sie von der Ur-Kränkung des Mannes, der Impotenz, getroffen werden. Scham und Angst, ihr „Mannsein“ eingebüßt zu haben, sind Gründe genug, das Thema in der Öffentlichkeit zu meiden. Auch für Martin, der wie Dieter in der bundesweit einzigen Selbsthilfegruppe in München Rückhalt erfährt. „Man denkt: Ein junger Mann, dreißig Jahre, da muss alles funktionieren. Selbst davon betroffen zu sein, war ein Schock. Das ist doch noch immer ein großes Tabuthema.“

Das merkte auch der Biochemiker Erwin Bischoff von der Bayer AG in Leverkusen, als er und sein Team sich vor drei Jahren anschickten, dem „blauen Wunder“ Viagra mit einer eigenen Potenzpille Konkurrenz zu machen. In der ersten Jahreshälfte 2003 soll Levitra, so der Handelsname der Neuentwicklung, auf den internationalen Markt kommen. Bischoff erinnert sich noch gut an den Beginn der Entwicklungsarbeiten: „Am Anfang, als wir unsere ersten Ergebnisse hier im Institut zusammengetragen haben, konnten Sie fast keinen Satz zu Ende bringen, ohne dass Gelächter ausbrach, weil irgendein Wort in Zusammenhang mit der Indikation schlüpfrig klang. Man wusste gar nicht, warum lachen sie denn jetzt schon wieder? Vielleicht aus Verlegenheit, aber es gab auch Leute, die es degoutant fanden, dass Bayer sich mit dieser Indikation befasste.“

Angesichts eines riesigen weltweiten Marktes für Potenzpillen sind die Bedenken einzelner Bayer-Mitarbeiter schnell verflogen. Für den Hamburger Urologen Hartmut Porst, einen der erfahrensten Prüfärzte von Substanzen gegen erektile Dysfunktion, setzt Bayer schon jetzt den Nochmonopolisten Pfizer unter Zugzwang: „Ich kann mir vorstellen, dass Viagra durch Levitra um zwanzig bis dreißig Prozent billiger wird.“

Nach einer Studie, die 1998 im Großraum Köln durchgeführt wurde, geht man in Deutschland von 4,5 Millionen Männern aus, die an Erektionsproblemen leiden. Neunzig Prozent dieser Männer sind zwischen vierzig und achtzig Jahre alt. Oft ist die eigentliche Ursache der erektilen Dysfunktion unklar. Allen betroffenen Männern gemein sind Durchblutungsstörungen im Penis. Ob rein physische oder psychische Faktoren eine Rolle spielen, bleibt häufig offen.

Woran es bei mir genau liegt, weiß der Arzt auch nicht“, berichtet Martin. Trotzdem kann er mit seinem Arzt zufrieden sein – denn der zumindest stellt sich dem Themenkomplex Impotenz und Sexualiät. Viele Ärzte, darunter auch Urologen, reagieren oft ausweichend oder bagatellisierend, wenn sie von ihren Patienten auf deren Impotenz angesprochen werden – nach dem Motto: Das wird schon wieder. „Bei solchen Sprüchen“, so Günther Steinmetz, Gründer der Münchner Selbsthilfegruppe, „gibt es nur einen Rat: schleunigst einen anderen Arzt suchen!“

Als Betroffener, der infolge einer Prostataentfernung eine erektile Dysfunktion erlitt, hat der 61-Jährige zwei unterschiedliche Ärztetypen kennen gelernt: „Mit meinem Urologen hier vor Ort rede ich nach der Untersuchung immer noch ein paar Minuten über die Selbsthilfegruppe oder über neue medizinische Entwicklungen. Für den Arzt, der mich operiert hat, war die Dysfunktion anschließend gar kein Thema mehr.“

Sprachlosigkeit auf der einen, Beleidigungen auf der anderen Seite sind weit verbreitete Reaktionen. „Ich bin mir nicht sicher, ob das nur bei Männern so ist oder generell in der Gesellschaft, dass Männlichkeit und Potenz gleichgesetzt werden“, fragt sich Günther Steinmetz. „Bei einer Erektionsstörung geht es immer ans Eingemachte. Nicht umsonst gibt es die entsprechenden Schimpfwörter wie Schlappschwanz. Wer möchte schon gern ein Schlappschwanz sein?“

Martin wie Dieter haben Erfahrungen mit Viagra gesammelt. Die Wirkungen der Potenzpille sind so vielfältig wie die möglichen Ursachen der erektilen Dysfunktion. Mal geht es mit, mal geht es sogar auch ohne Medikament. Aber das Reden über die Störungen fällt auch mit Pille nicht unbedingt leichter. Warum? „Weil das ein Imageproblem ist“, sagt Dieter. „Ich will mich nicht outen. Für wen soll das gut sein? Ich werde mich nicht vor meine Kollegen stellen und sagen: ‚Ich hab da ein Problem.‘ Die werden bestimmt nicht besonders einfühlsam mit mir umgehen.“

Martins Erwartungen knüpfen sich weniger an verbesserte Medikamente als vielmehr an sein steigendes Selbstwertgefühl, das durch die Potenzpillen einen Aufschwung erfährt: „Zweimal hat es in der Zeit, in der ich Viagra nehme, auch ohne funktioniert.“

Impotenz ist kein Leiden der Neuzeit, wie obskure Mittelchen vergangener Zeitalter beweisen. „Interessiert haben sich die Menschen schon immer dafür“, sagt Erwin Bischoff. „Wenn Sie ganz weit zurückgehen und sich umsehen, was da so an Kräutern, Salben, Extrakten aus Kröten oder ähnlichen Mittelchen angewandt wurden – da finden Sie überall was. Der wissenschaftliche Hintergrund war aber eher bescheiden.“

Am Anfang der Entwicklung von Levitra standen firmeninterne Widerstände. „Eines Tages“, erinnert sich Ewin Bischoff, „tauchte in Leverkusen ein Bayer-Forschungsleiter mit einer interessanten Substanz auf, einer Salbe, die gegen erektile Dysfunktion wirken sollte. Das wäre ein Riesenfortschritt gewesen, denn damals gab’s nur Injektionen direkt in den Penis, wo man schon eine Gänsehaut kriegt, wenn man nur Bilder sieht. Damals wurde diskutiert: Welcher unserer Forscher will sich überhaupt des Themas annehmen? Wer macht denn so was? Da hieß es: Den Anfang muss eine Frau machen!“

Da Bischoff aus der Herz-Kreislauf-Forschung kam, wurde er schließlich gefragt, ob er sich für das Projekt interessiere und mit der Substanz weiterarbeiten wolle. „Es gibt da ja gewisse Zusammenhänge“, erläutert er. „Impotenz ist eine Gefäßerkrankung, und wenn die Herzkranzgefäße nicht mehr funktionieren, dann funktionieren auch die Gefäße im Penis nicht mehr, wie sie sollten. Ein bisschen Basiswissen Pharmakologie haben wir schon mitgebracht, aber das ganze Drumrum, da waren wir auch völlige Neulinge.“

Das Bayer-Team in seinen Wuppertaler Forschungslaboren wusste, man war nicht allein. Da gab es noch die Firma Pfizer und ihr inzwischen zu Berühmtheit gelangtes Viagra. „Uns war klar, dass die auch was machen auf dem Gebiet und dass die auch schon weiter waren. Pfizer hat seinen Wirkstoff allerdings anders gefunden als wir. Die hatten ursprünglich einen so genannten Phosphodiesterase-Inhibitor, PDE-Inhibitor genannt, für eine Herz-Kreislauf-Indikation entwickelt. Nur mussten sie dabei schon sehr hoch dosiert an die Sache rangehen, um überhaupt einen Effekt zu sehen. Die Probanden wollten aber angeblich ihre Pillen gar nicht mehr zurückgeben, weil ihnen etwas ganz anderes aufgefallen war. Da gibt es viele Anekdötchen drüber. Und dann haben die Pfizer-Leute es nicht nur registriert, sondern auch verwertet, ein Patent geschrieben und damit eine bestimmte Untergruppe von PDE-Inhibitoren, mit der sie forschten, für ihre Zwecke gesperrt. Da wussten wir, dass sich da etwas tut. Denn es deckte sich auch mit unseren Daten.“

In dieser Phase trat das Bayer-Marketing auf den Plan und trieb zur Eile an. Zwar war allen Beteiligten bewusst, dass sie nur die Zweiten sein konnten, aber dann bitte mit möglichst wenig Zeitverlust. Heute gibt sich Bischoff überzeugt, dass er und sein Team mit Levitra kein reines Nachahmerprodukt von Viagra entwickelt haben: „Wir glauben, dass wir einen selektiveren und potenteren Wirkstoff haben mit weniger Nebenwirkungen wie Gesichtsrötung und Kopfschmerz als Viagra.“

Die Nebenwirkungen sind auch auf einem anderen Gebiet zurückgegangen, wie er bemerkt: „Inzwischen ist das Thema erektile Dysfunktion bei Bayer diskussionswürdig geworden. Ich würde sagen, es ist kein anrüchiges Thema mehr, aber es hat eine gewisse Zeit gedauert, bis die Leute einigermaßen normal damit umgehen konnten.“

Bis dieser Lernprozess auch außerhalb der Forschungslabors einsetzt, könnte allerdings noch ein Weilchen dauern. „Sehr auffällig“, so Günther Steinmetz von der Münchener Selbsthilfegruppe, „ist die Reaktion von Passanten, wenn wir in der Innenstadt mit einem Infotisch stehen: Die machen einen regelrechten Bogen. Die Männer nähern sich nur sehr befangen unserem Tisch. Frauen sind da meist aufgeschlossener.“

Diese Erfahrung deckt sich auch mit der Art der E-Mail-Anfragen, die an die Selbsthilfegruppe gerichtet werden. Zwanzig Prozent davon stammen von Frauen. Deren Aussage sei meist dieselbe: Mein Partner kann nicht über seine Situation reden. „Das“, sagt Steinmetz, „kann natürlich tausend Gründe haben: Erziehung, Unfähigkeit, über Gefühle zu reden, und so weiter. Aber das Wesentliche ist für mich, dass eben nichts, keine noch so tolle Pille, das Gespräch mit der Partnerin oder dem Arzt ersetzen kann.“

Wenn kein Gespräch zwischen den Partnern stattfindet, seien beide auf Vermutungen angewiesen. Der Mann vermute dann: „Dadurch, dass ich sexuell nicht mehr so funktioniere wie vorher, fehlt meiner Partnerin ganz viel, und irgendwann verlässt sie mich vielleicht und gibt mich der Lächerlichkeit preis.“ Die Frau wiederum wisse nicht, warum sich der Mann zurückzieht von ihr, und denkt: „Bin ich nicht attraktiv, oder hat er eine andere? Warum redet er nicht mit mir darüber?“

Dass dies – auch nach der Markteinführung von Viagra und der Möglichkeit, die erektile Dysfunktion auszugleichen – nicht immer einfach ist, weiß Martin: „Ich will in eine frische Partnerschaft nicht gleich mit meinem Problem reingehen. Die soll mich erst mal ein bisschen kennen lernen. Dann können wir immer noch darüber reden.“

BERND FESTERLING, freier Journalist mit Schwerpunkt Naturwissenschaft und Technik, und CHARLY KOWALCZYK, freier Feature-Autor für den Hörfunk, arbeiten im Bremer Medienbüro. Am 23. März, von 17.05 bis 18 Uhr, sendet HR2 ihr Radiofeature „Wer möchte gern ein Schlapppschwanz sein?“