Tausche Stütze gegen Gewerbeschein

Claudia Michen-Gruber aus Dormagen möchte nicht länger von Sozialhilfe abhängig sein. Die allein erziehende Mutter will sich eine selbständige Existenz aufbauen. Ihr Projekt „Webtauschen“ ist Internetseite und Unternehmenskonzept zugleich

VON KIRSTEN PIEPER

Aus der Küche ertönt geschäftiges Klappern, im Wohnzimmer schnarrt die elektronische Stimme: „Sie haben Post“. Claudia Michen-Gruber eilt mit der Kaffeetasse ins Wohnzimmer. Sie setzt sich vor den Bildschirm ihres Computers. „Vor Weihnachten habe ich nach wochenlangem Programmieren mein erstes Projekt an den Start gebracht: die Internet-Tauschbörse Webtauschen.de“, sagt die 36-Jährige. Die Börse dient als Aushängeschild für ihre neu gegründete Grafik- und Webagentur. Damit will sich die frisch gebackene Unternehmerin eine Existenz aufbauen. Die alleinerziehende Mutter von drei Kindern will unabhängig von der Sozialhilfe werden.

Die Familie lebt in einer kleinen Wohnung in der Fußgängerzone von Dormagen. Seit zwei Wochen ist das auch der offizielle Firmensitz ihrer neuen Grafik- und Webdesign-Agentur. In deren Rahmen betreibt Michen-Gruber auch ihre Tauschbörse Webtauschen. Im Gegensatz zu anderen Tauschbörsen funktioniert Webtauschen mit einem Punktesystem. Das herkömmliche Prinzip „Tausche Kaffeemaschine gegen Toaster“, also eins zu eins, zwinge zum sofortigen Eintauschen der Gegenstände, sagt Michen-Gruber. Bei Webtauschen hingegen bestehe die Möglichkeit, so genannte Tauschpunkte zu sammeln und später einzulösen.

Die Internetseite ist für Claudia Michen-Gruber vor allem ein Prestigeobjekt. Geld verdient sie damit nicht. „Das Web-Programmieren ist das eigentliche Ding, mir fehlen eben noch die Aufträge.“ Mit der Tauschbörse vereint sie Beruf und Hobby: „Ich habe eben kombiniert zwischen dem, was ich kann – Programmieren – und dem, was mir Spaß macht“, erklärt die Geschäftsfrau stolz. „Und das ist das Tauschen.“

Die Leidenschaft fürs Tauschen hat die junge Frau schon immer. Als sie noch mit dem Vater ihrer Kinder zusammenlebte, hatte sie bereits einen Tauschladen in Dormagen. „Der wurde angenommen, manche Kunden waren irgendwann richtig süchtig nach Tauschen“, erzählt sie. Dabei leuchten ihre Augen hinter den Brillengläsern.

Mit dem Auszug ihres damaligen Partners begann der finanzielle Abstieg. Plötzlich stand ein Möbelwagen vor dem gemeinsamen Haus, und der Lebensgefährte zog mit Sack und Pack aus. Sie musste das Geschäft dicht machen. „Ich konnte nicht gleichzeitig die Kinder versorgen und den ganzen Tag im Laden stehen“. Die Familie war auf Sozialhilfe angewiesen.

Die Frau mit den runden Brillengläsern und dem blonden Haar ist ein eher unauffälliger Typ. Michen-Gruber zieht eine Zigarette aus der blauen Gauloises-Packung und dreht sie zwischen Zeigefinger und Daumen. „Das kann ich mir einfach nicht abgewöhnen.“ Während der Schwangerschaften habe sie keine Probleme gehabt aufzuhören, aber da ging es schließlich um die Gesundheit ihrer Kinder. „Für mich alleine schaffe ich das nicht.“

Michen-Gruber will auf eigenen Füßen stehen. „Ich konnte doch so viel, hatte abends mein Abitur nachgemacht und dann eine Ausbildung zur Tontechnikerin abgeschlossen.“ Ihre Qualifikationen waren für das Arbeitsamt uninteressant. Fakt war, sie konnte wegen der drei Kinder keine regelmäßigen Arbeitszeiten einhalten. Die junge Frau galt als nicht vermittelbar.

Wie viele Alleinerziehende suchte Michen-Gruber einen Kompromiss zwischen Beruf und Kindern. „Ich begann wie eine Löwin zu kämpfen. Lernen statt Fernsehen ist mein Motto.“ In Eigenregie brachte sie sich Computerprogrammieren bei und legte damit den Grundstein für ihre jetzige Firma. Die Fachbücher besorgte sie sich in der Bücherei. Sie war von der Idee besessen, allen zu zeigen, dass sie sich und die Kinder durchbringen könne. Trotz der Vorbehalte des Sozialamtes entschied sich die gebürtige Dormagenerin für die Selbstständigkeit.

Mit einem 80seitigen Unternehmenskonzept sprach sie im Oktober beim Amt vor. Den Beamten war nach ihrer Einschätzung die Prüfung der Geschäftsidee aber zu aufwendig. „Das macht natürlich mehr Arbeit als die Dauerüberweisung für die monatliche Sozialhilfe.“ Mit Beharrlichkeit überzeugte sie die Behörde. „Ich erhielt eine Ausnahmegenehmigung.“ In der ersten Zeit erhält Michen-Gruber den vollen Sozialhilfesatz. „Und wenn es geschäftlich gut läuft, wird die Unterstützung Stückchen für Stückchen runtergefahren.“ Bis zum Sommer diesen Jahres will sie unabhängig sein.

Bisher sei die Resonanz auf die Tauschbörse so positiv, dass sie sich beinahe „überrollt“ fühle. Zwei Tauschkunden waren von dem Design von Webtauschen so begeistert, dass sie direkt die Gestaltung ihrer eigenen Internetseiten in Auftrag gaben. Und genau so hatte sich Michen-Gruber das gewünscht: „Webtauschen ist das Werbebanner für meine Grafikagentur. Je mehr Anklang meine Seiten finden, desto mehr Kunden kann ich gewinnen“, erzählt sie. Und strahlt dabei übers ganze Gesicht: „Ich freue mich wie ein kleines Kind.“