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Archiv-Artikel

Versicherte schwer verunsichert

Mit der neuen Zehn-Euro-Praxisgebühr erlebten Bremer Praxen am ersten offiziellen Geltungstag einen ruhigen Auftakt – aber nur weil wenige Menschen kamen. Ärger ist programmiert, wenn die Menschen das Ausmaß aller Zuzahlungen erfassen

Von ede

bremen taz ■ „Zehn Euro Praxisgebühr?“ Die Frau am Empfang der Radiologenpraxis lächelt entspannt. „Wir sind die klassische Überweisungspraxis.“ Zwar steht auch bei ihr eine Kasse, es gibt einen Quittungsblock – aber kassieren wie die Hausärzte wird sie kaum müssen.

Wie die Hausärztinnen in der Kornstraße beispielsweise, wo drei Arzthelferinnen vereint stöhnen: „Katastrophe“. Zwar quillt das Wartezimmer nicht über, es kamen nur Akutpatienten. Aber wer kam, der musste zahlen – und wollte dafür meist eine Erklärung darüber, wie es weitergeht. Bis zu 15 Minuten pro Person habe das gedauert. „Leider lesen die Leute nicht gerne“, seufzt die Frau hinterm Tresen, auf dem – wie bei jedem Arzt – Erklärungszettel liegen. Zehn Extragriffe auf der Tastatur rechnet sie pro Krankem – auch wegen Quittungen und Überweisungen. Das ist auch beim Allgemeinarzt in Arsten so. „Für meine Frau und mich brauche ich fünf Stück“, diktiert dort der Rentner der Sprechstundenhilfe. Zuvor hatte er die Praxisgebühr entrichtet. „Davon haben alle gehört, das ist kein Problem.“

„Patienten und Ärzte sind jetzt gemeinsam sauer auf die Regierung“, folgert Geerd Loock, Urologe in der Innenstadt. Die meisten PatientInnen würden sich relativ klaglos der Gesetzeslage ergeben – wenn auch widerstrebend. Der Mann beispielsweise, der für die Urinanalyse nur ungern zehn Euro zahlte. „Kasse führen, Buch führen, Steuerberater, Finanzamt“, rattert Loock die Reizwörter des Jahresbeginns 2004 herunter. Von Sicherheitsproblemen ganz zu schweigen, intern wie extern. Drinnen müsse das Geld bewacht werden, von draußen drohen Gefahren: „Der Überfall beim Arzt ist ja leichter als beim Imbiss.“ Loock selbst hofft, dass die Patienten erst zum Hausarzt gehen – und danach zu ihm. „Dann kostet nur der Hausarzt, der Urologe ist umsonst“, witzelt er. Denn die Ärzte treiben das Geld nur ein, um es an die gesetzlichen Krankenversicherungen – für Privatversicherte gilt das alles nicht – weiterzureichen.

Die Medizinerin Angela Weymar hat das schon so oft erklärt, dass jetzt ihr Hals kratzt. „Nicht mal die Quittungen hatte die kassenärztliche Vereinigung fertig“, sagt sie. Teure Rezeptblocks werden in der Gynäkologenpraxis wie überall deshalb mit selbst formulierten Quittungstexten versehen – damit die PatientInnen wenigstens einen Beleg über ihre neuen Kosten haben. Für manche schwer Kranken könnte das Belege-Sammeln sich am Ende des Jahres auszahlen.

„Chronisch Kranke dürfen nur bis zu einem Prozent ihres Bruttoverdienstes belastet werden“, erinnert Holm Ay, Sprecher des zweitgrößten bremischen Krankenversicherers, der Handelskrankenkasse. Dort rufen seit Wochen vor allem verunsicherte Versicherte an– um sich zu informieren oder zu beschweren. Besonders rage dabei die Gruppe der Rentner heraus, so Ay.

Warum das so ist, weiß der Hausarzt und Internist Hans Hilden. „Zwei Drittel meiner Patienten sind alte Leute. Von denen haben viele schon gut damit zu tun, sich ihr Essen täglich zu besorgen.“ Zuzahlungsregeln, Quittungen sammeln und Krankentransport selber zahlen – das sei für betagte Kranke eine echte Überforderung. Er als Arzt müsse bei Hausbesuchen alles erklären, seine Angestellten wachsende Papierberge bewältigen. „Das geht zu Lasten der Patienten“, schimpft er auf eine „katastrophale Entwicklung“.

„Es wird interessant“, sagt etwas zurückhaltender die Pflege-Geschäftsführerin Angelika Alke im Rotes Kreuz Krankenhaus. Dort hat man am Neujahrstag für die Notfallambulanz noch nicht kassiert, obschon jeder Ambulanzbesuch zehn Euro kostet. Noch galt: „Notfall ist Notfall.“ So auch in der Ambulanz im Klinikum Mitte, wo es heißt: „Wir können ja keine Notfälle abweisen.“ Doch werden überall noch aufgebrachte Patienten erwartet, sobald diese merken, dass jede Notfallbehandlung zehn Euro kostet, auch wenn der Quartals-Obolus schon entrichtet wurde. Und dass Zahnarztbesuche zusätzlich pro Quartal mit zehn Euro zu Buche schlagen. ede

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