: Die Welt aus zweiter Hand
„Für Häftlinge sind Zeitungen und Fernsehen die einzige Auseinandersetzung mit der Außenwelt“, sagt Rosemarie Bronikowski
Interview AGNES CIUPERCA
taz: Frau Bronikowski, mit welchen Schwierigkeiten haben Häftlinge zu kämpfen, wenn sie entlassen werden?
Rosemarie Bronikowski: Sie fühlen eine Welle von Misstrauen auf sich zukommen. Vorurteile in der Bevölkerung lähmen oftmals ihre guten Absichten, sich draußen wieder einzugliedern. Sie haben das Gefühl: Wenn irgendetwas schief geht, dann wird das auf sie zurückfallen, weil sie eben aus dem Knast kommen. Ehemalige Strafgefangene haben draußen Angst, dass ihnen jemand ihren Knastaufenthalt ansehen könnte.
Hat diese Angst möglicherweise etwas mit der mangelnden Kommunikation mit der Außenwelt zu tun?
Zum Teil sicherlich, denn Knastis haben keinen Zugang zum Internet, mit Chatten ist es also nichts. Die Zeit zum Telefonieren ist beschränkt, und natürlich gibt es im Gefängnis kein Handy. Freiheitsstrafe bedeutet eben auch Ausgesperrtsein. Ohne Austausch mit der Außenwelt verschieben sich Vorstellungen leicht ins Irreale.
Haben Gefangene nicht genügend Möglichkeiten, über Medien die Wirklichkeit zu erfahren?
Doch, natürlich, Medien sind ein Ersatz für die Außenwelt. Wer es sich leisten kann, hat einen Fernsehapparat auf der Zelle. Soaps oder Krimis an Stelle des erlebten Lebens. Außenwelt aus zweiter Hand sozusagen. Für viele sind Medien überhaupt die einzige Auseindersetzung mit der Außenwelt.
Bekommen Gefangene von den Medien ein realitätsgerechtes Bild der Wirklichkeit geliefert?
Teilweise schon, aber wenn im Fernsehen ständig Gewaltszenen gezeigt werden, kommt das in der Abgeschlossenheit der Zelle noch anders an als draußen. Der Eindruck kann entstehen, in der Außenwelt gelte nur das Recht des Stärkeren. Sträflinge glauben, dass viele Leute draußen teilweise noch schlimmere Verbrechen begehen als sie selbst – und die kommen dann ungestraft davon. Auch Tatsachenberichte erscheinen durch ihre Häufung verzerrt. Zum Beispiel über Wirtschaft und Politik. Da fragt sich mancher, warum sollen wir Knackis uns bewähren, wenn in der Gesellschaft Schieberei und Korruption an der Tagesordnung sind.
Inwieweit unterstützen Fernsehen und Zeitungen Sträflinge bei ihrer Vorbereitung auf ein Leben in Freiheit?
Gefangene, die damit rechnen, in absehbarer Zeit rauszukommen, wollen auf dem Laufenden bleiben. So informieren sie sich zum Beispiel über die Werbung, was zur Zeit „in“ ist. Leute mit langen Strafen schalten dagegen ab, wenn es im Gespräch um die Zeit nach der Entlassung geht.
Sie selbst haben in Gesprächen versucht, die Gefangenen auf ihr späteres Leben in Freiheit vorzubereiten. Woher kam Ihr Interesse, sie bei der Rehabilitation zu unterstützen?
Ich wollte in der Praxis prüfen, ob mein Freund, der Lyriker Ernst S. Steffen, Recht hatte mit der Behauptung, der Knast würde die Menschen kaputter entlassen, als sie reinkamen. Er saß selbst mal im Knast und kam nach seiner Entlassung mit dem Leben außerhalb der Gitter nicht mehr zurecht. Diese Behauptung stimmt leider noch immer.
Wie haben Sie trotzdem versucht, Strafgefangene wieder in die Gesellschaft zu integrieren?
Ich habe ihnen immer wieder gesagt, dass sie zwar die Straftaten begangen haben, aber nicht die Straftat in Person sind. Ihr Selbstwertgefühl zu stärken kann mehr zur Rehabilitation beitragen als gut gemeinte Hilfsangebote.