: „Erinnerung ja – aber kein Denkmal für deutsche Vertriebene“, sagt Tomáš Jelínek
Wie sich die Debatte um das Zentrum gegen Vertreibungen in den Ohren eines Prager Juden anhört
taz: Herr Jelínek, Sie sind mit 35 Jahren der bisher jüngste Vorsitzende der Prager Juden. Hat nun der Generationswechsel bei den jüdischen Gemeinden Tschechiens begonnen?
Tomáš Jelínek: Nein. Das Durchschnittsalter der Prager Gemeinde liegt bei 57 Jahren, das heißt die meisten unserer Mitglieder sind Rentner. Die Überlebenden der Konzentrationslager stellen also auch fast 60 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Mehrheit. Das hängt damit zusammen, dass uns die mittlere Generation fast völlig fehlt. Sie verließ während der kommunistischen Zeit das Land oder wollte sich unter dem auf sie ausgeübten Druck nicht mehr zum Judentum bekennen.
In Prag gibt es inzwischen zahlreiche einflussreiche Politiker in Ihrem Alter. Fällt es jungen Tschechen leichter, über die Vertreibung der Deutschen zu reden als ihren Vätern?
Das kann man so nicht sagen. Einerseits stimmt es, die jungen Tschechen sind emotional weniger belastet. Andererseits aber wissen sie zu wenig über die historischen Ereignisse. Das erschwert die Diskussion. Das Interesse für die eigene Geschichte ist in Tschechien heute eher gering. Die meisten blicken in die Zukunft, interessieren sich weniger für Deutschland und mehr für Europa.
Tschechiens Regierung diskutiert momentan eine symbolische Entschädigung für Sudetendeutsche, die nicht vertrieben wurden, aber in der Nachkriegszeit zahlreiche Nachteile erleiden mussten. Wird eine solche Geste von der jüdischen Gemeinde unterstützt?
Grundsätzlich ja. Für uns ist aber das „Bürgerprinzip“ wichtig. Das heißt, dass alle Opfer von nationalsozialistischer und kommunistischer Verfolgung bei einer Entschädigung berücksichtigt werden sollten. Das gilt unabhängig davon, ob es Deutsche oder Tschechen sind. Wichtig sollte allein das Ausmaß der Verfolgung sein. Die jüdische Gemeinde ist zudem der Ansicht, dass sie eine historische Schuld gegenüber den deutschen Tschechen hat, die während des Krieges Juden geholfen haben. Daher planen wir gemeinsam mit dem Adalbert-Stifter-Verein eine Wanderausstellung, die die tschechische Öffentlichkeit über den Mut dieser Deutschen informieren soll.
Das umstrittenste Thema der deutsch-tschechischen Beziehungen ist zurzeit das vom BdV, dem Bund der Vertriebenen, geplante Zentrum gegen Vertreibung …
Es geht hier um die Geschichte der Deutschen. Und daher liegt es auch ganz in der Verantwortung der deutschen Öffentlichkeit, wie sie mit dieser Geschichte umgeht. Die tschechische Politik sollte sich da nicht einmischen. Ich denke, dass es dem BdV darum geht, ein Denkmal für Vertriebene zu errichten. Die historische Darstellung der Ursachen der Vertreibung dürfte so zu kurz kommen. Daher lehne ich das Projekt ab. Der BdV ist mit diesem Thema einfach zu sehr emotional verbunden.
Und wenn nun die Bundesregierung die Trägerschaft für ein Museum über Vertreibungen übernehmen würde?
Ich würde mir nicht trauen, dagegen etwas einzuwenden. Wie gesagt, dass liegt allein in deutscher Verantwortung, wie es in der Verantwortung der Tschechen liegt, sich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen. So gibt es bei uns Diskussionen über ein Museum der Deutschen in Ustí nad Labem (ehemals Aussig an der Elbe, Red.), einem der ehemaligen Zentren der Sudetendeutschen. Wissenschaftlich können Deutsche und Tschechen hier natürlich zusammenarbeiten, aber die Entscheidung darüber, was realisiert wird, liegt ganz in der Hand der jeweiligen Gesellschaft.
Es gibt in Tschechien eine Gruppe Intellektueller, die die Debatte über die Vertreibung stets forciert hat und nun das BdV-Zentrum unterstützt. Denn so könne man die deutsch-tschechischen Beziehungen fortentwickeln, argumentieren sie.
Ich glaube, wir brauchen keine neue, erweiterte Fassung der deutsch-tschechischen Erklärung aus dem Jahre 1997, wie diese Gruppe es fordert. Wenn wir über die Annäherung von Deutschen und Tschechen sprechen, dann ist die konkrete Zusammenarbeit viel wichtiger. So haben zum Beispiel 2002 nach dem Hochwasser Dresdner Bürger für die Restaurierung der Prager Judenstadt gesammelt. Die Frankfurter Feuerwehr kam, um uns Hilfe zu leisten, und Außenminister Joschka Fischer hat die gesamte Summe des ihm verliehenen Heinz-Galinski-Preises unserer Gemeinde gestiftet.
Es gibt aber noch viele Empfindlichkeiten. So haben Sie den Bund der Vertriebenen kritisiert, dass er einem von ihm gestifteten Preis nach dem jüdischen Schriftsteller Franz Werfel benannt hat.
Franz Werfel hat die Politik der Sudetendeutschen vor dem Zweiten Weltkrieg stets kritisiert. Er stand im Widerspruch zu den Zielen der Deutschen, die nun einen Preis nach ihm benennen.
Ist das Zentrum gegen Vertreibungen nur ein Beispiel für eine Debatte, die die Deutschen nicht mehr nur als Täter, sondern auch als Opfer sieht?
Eine solche Debatte war nach der Wende von 1989 zu erwarten. Ich finde das nicht verwerflich. Die deutsche Gesellschaft ist so demokratisch, dass sie eine solche Diskussion erträgt ohne in Extreme abzugleiten. Man kann historische Tatsachen nicht unterdrücken. Das hat die tschechische Gesellschaft viel zu lange getan.
INTERVIEW: SABINE HERRE