Der Patient als Objekt

betr.: „So verhindern Sie die Reform“, taz vom 18. 2. 02

Mir wird als altem taz-Leser ganz anders bei so viel offen zur Schau getragener Ignoranz! Zu den Details:

Bummelstreiks: In Bielefeld waren 85 Prozent der Praxen geschlossen, von ca. 1.200 Ärzten waren 600 auf einer zentralen und weitere bei Stadtteilveranstaltungen. In vielen Orten war es ähnlich. Verantwortlich in Bielefeld: medi-owl, ein junges Netz von Ärzten und Psychotherapeuten, nicht die alten Seilschaften.

Kompetent äußern: Medizinische Versorgung ist nun einmal unser Feld, der Inhalt unserer Arbeit. Da wird sich keiner so kompetent äußern können wie wir. Oder wollen Sie dem Ingenieur sagen, wie er arbeiten muss, dem Bäcker, wie backen? Über Finanzierungsfragen und gesellschaftliche Verantwortung für die Gesundheit des Einzelnen muss jeder Bürger mitsprechen. Das haben wir Ärzte nie anders gesehen. Wir wehren uns aber dagegen, dass wir als Kostentreiber hingestellt werden, weil wir den letzten Stand der Technik und der Pharmakotherapie bei einer immer älter und damit kränker werdenden Bevölkerung anwenden!

Wissenschaftler denunzieren: Ja, Herr Prof. Lauterbach ist in den Kreisen der Ärzte heftig umstritten, auch in den Kreisen seiner direkten Fachkollegen, der Biometriker. Noch nie hat sich ein Arzt derartig an die Politik hingegeben und seine Wissenschaftlichkeit dieser so untergeordnet wie dieser Mann. Wir können ihm in der Tat gezinkte Statistiken nachweisen. So bei der Amputationsrate wegen Diabetes und bei dem Nutzen von DMPs etc.

Qualitätskontrolle: Kündigen Sie sofort Ihre Reiserückholversicherung! Wenn Sie das gemacht haben und sich konsequent mit allen schlimmen Krankheiten lieber im gelobten Ausland behandeln lassen, reden wir weiter. Wir Ärzte haben schon seit hunderten Jahren ein ausgefuchstes Qualitätsmanagement. Dazu brauchen wir keine staatliche Kontrolle. Und wenn sie denn gesellschaftlich gewünscht wird, bitte! Sie wird das hervorbringen, was ist: Die Qualität der medizinischen Versorgung in Deutschland nimmt in der Welt eine Spitzenstellung ein.

Solidarität: Na ja, ein wenig gewerkschaftliche Interessenvertretung wird uns ja genehmigt sein. Viele von uns wären herzlich gern Gehaltsempfänger geblieben. Als Selbstständige haben wir kein Streikrecht, unsere Bezahlung wird politisch festgelegt und niemand schreit, weil der Staat in die Tarifhoheit eingreift.

Anschlussfähigkeit: Nehmen Sie nicht die Auffassungen einiger Spitzenfunktionäre, die der CDU nahe stehen, für die gesamte organisierte Ärzteschaft. Unser Thema ist die gesundheitliche Versorgung, deren Finanzierung ist eine andere Baustelle.

Morgen bankrott: Irgendwie neidisch? Ich kann nur empfehlen, in meine Steuererklärung zu gucken. Ich zeige sie Ihnen gern. Arbeitsaufwand, Verantwortung und wirtschaftliches Ergebnis sind nicht mehr vereinbar. Und in der Tat gehen kleinere Praxen immer häufiger in Konkurs oder bleiben ohne Nachfolger.

Drohen: Wenn uns weniger Mittel zur Verfügung stehen, dann schränken wir in den Praxen die Leistungen ein. Kostendruck wird mit Kostensenkung beantwortet. Warum dürfen wir nicht, was für jeden Wirtschaftsbetrieb überlebenswichtig ist?

Vielfalt der Interessen in der Ärzteschaft: Ja, die gibt es in der Tat. Was uns eint, ist: Wir sind von unserem Selbstverständnis Partner des Patienten. Zwischen uns und den Patienten gibt es schon jetzt zu viel Staat. Der Patient als Objekt staatlicher Zuteilung? Und wir sollen sie einteilen? Wollen Sie Ihren Arzt wirklich in dieser Rolle?

Linker Arzt: Als Student habe ich gemeint, für die Sache des Proletariats zu kämpfen. Heute sind die Aufgaben substanzieller, und Verantwortung beherrscht das tägliche Tun. Ich kann mich weder für gewerkschaftliche Konsumpositionen noch für unternehmerische Kostenminimierungspositionen erwärmen. Die politische Lösung liegt außerhalb dieses Spannungsfeldes.

MICHAEL MÜLLER, Bielefeld

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