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Archiv-Artikel

Reform startet fast schmerzlos

Seit drei Tagen zahlen Patienten die Praxisgebühr von zehn Euro pro Quartal. Trotzdem gibt es bei den Ärzten kaum Protest. Auch die Ärzteverbände gestehen: „Das große Chaos ist ausgeblieben.“ Probleme nur bei der Abrechnung mit den Kassen

AUS BERLIN SUSANNE AMANN

Seit dem ersten Januar müssen Patienten am Anfang des Quartals zehn Euro Praxisgebühr zahlen – das Chaos aber, vor dem etwa die Bundesvereinigung der Kassenärzte gewarnt hatte, ist ausgeblieben. Bislang kam es weder zu den befürchteten längeren Wartezeiten, noch zu wütenden Diskussionen zwischen Patienten und Arzthelferinnen.

Die Patienten zahlten in der Regel ohne Murren, heißt es aus Arztpraxen in Berlin, Leipzig oder Frankfurt. Und das, obwohl das Geld in den meisten Fällen bar kassiert wird. Natürlich gebe es Einzelne, die sich über die Gebühr beschwerten, sagte Lydia Zaatouri, Arzthelferin in einer allgemeinärztlichen Praxis aus Frankfurt. „Trotzdem ist bisher noch keiner gegangen, weil er zahlen musste.“

Auch in den großen Krankenhäusern, deren Notfallambulanzen rechtlich ebenfalls als Praxen gelten, hat man bislang keine negativen Erfahrungen gemacht. „Soweit ich weiß, gab es keine Streitereien oder Proteste“, sagte Kerstin Ullrich vom Charité-Klinikum in Berlin. Die Menschen seien durch die Medien sehr gut informiert und wüssten genau, dass sie zahlen müssen. Problematisch sei bislang nur die interne Abrechnung der Praxisgebühren mit den Krankenkassen. „Das ist das totale Chaos“, so Ullrich. Denn noch ist rechtlich nicht geklärt, ob die Kassen den Kliniken im Voraus und pro Rettungsfall die Gebühr abziehen – womit die Kliniken sich dann selbst um säumige Zahler kümmern müssten.

Die Praxisgebühr ist Teil der Gesundheitsreform, die zum Jahresbeginn in Kraft getreten ist. Alle gesetzlich Versicherten, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, müssen danach beim ersten Arztbesuch im Quartal die Praxisgebühr zahlen – egal, ob sie zum Hausarzt, Facharzt oder Psychotherapeuten gehen. Geht der Versicherte im gleichen Quartal ohne Überweisung zu anderen Medizinern, wird die Gebühr ein weiteres Mal fällig. Nur, wenn er sich zu anderen Ärzten überweisen oder bloß ein Rezept erneuern lässt, muss er nicht mehrmals zahlen. Vorsorgeuntersuchungen oder Schutzimpfungen sind ausgenommen. Eine separate Praxisgebühr wird bei Zahnärzten fällig.

Durch Praxisgebühr und weitere Zuzahlungen erhofft sich Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) Einsparungen in Höhe von rund 3,3 Milliarden Euro. Kassenärzte bezweifeln, dass Einsparungen in dieser Höhe erreicht werden.

Ärzteverbände hatten zum Jahreswechsel vor Problemen bei der Einführung der Praxisgebühr gewarnt: Gerade Patienten mit geringerem Einkommen würden einen Arztbesuch wegen der Gebühr vermeiden, sagte Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer. „Das ist eine Erfahrung, die andere Länder gemacht haben, wo diese Gebühr schon vor Jahren eingeführt wurde.“ Allerdings werde nach einer Übergangszeit wieder Normalität einkehren. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hatte vor längeren Wartezeiten bei Arztbesuchen gewarnt. Es dauere schon eine Weile, um bei 80 bis 100 Patienten am Tag die Gebühr zu kassieren und eine Quittung auszustellen, hatte Manfred Richter-Reichhelm, Vorsitzender der KBV, gesagt. Inzwischen räumte aber auch die KBV ein, dass das „große Chaos“ ausgeblieben sei.

Gleichzeitig wollen die Kassenärzte mit Gesundheitsministerin Schmidt verhandeln, was künftig als „individuelle Gesundheitsleistung“ (IGeL) abzurechnen ist und somit auch von gesetzlich Versicherten selbst bezahlt werden muss. Hintergrund ist die Ankündigung der KBV, Augenuntersuchungen künftig privat abrechnen zu wollen, weil Brillen selbst keine Kassenleistung mehr sind. Schmidt nennt diese Pläne unzulässig. Die Feststellung der Sehstärke sei weiter eine Kassenleistung, betont sie: Sollten sich die Ärzte nicht daran halten, könnten Patienten sich wie üblich an die Krankenkasse wenden.

Die KBV will die Beratung für Leistungen, die die Kasse künftig nicht mehr zahlt, in Rechnung stellen können. Dazu kann auch die Beratung für ein rezeptfreies Erkältungsmittel zählen.