: Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?
2004 kann sich Schröders Schicksal entscheiden – und zwar wenn die SPD die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen verliert. Und 2004 wird sich zeigen, ob die Republik reif für einen Rollstuhlfahrer als Bundespräsident ist
taz: Was war schlecht im letzten Jahr? Was wird besser im nächsten?
Friedrich Küppersbusch: Umgekehrt! Auch wenn es wie Modegeschreib aussieht: Vor dem Vielwahljahr und mit der Zerrissenheit der Opposition war das „Reformfenster offen“; nun drohen zwölf Monate Urne-Glotzen.
Zuerst sind Ende Februar in Hamburg Wahlen, später in Brandenburg und im Saarland, dann die Europawahl. Was, wenn die SPD noch mehr verliert? Was, wenn sie in Sachsen unter zehn Prozent fällt?
Entweder Schröders Reformen packen – oder er packt ein. Sachsen ist ein Sonderfall, bisher nicht zu erkennen, dass die SPD um diese Baustelle noch kämpft. Vieles wird sich auf die richtungweisende Kommunalwahl NRW, den drohenden Verlust der Eingeweide, konzentrieren.
Und wenn NRW verloren geht – wackelt Schröder dann? Oder ist die Partei längst zu komatös, um so etwas denken zu können? Fehlt der SPD-Linken eine Idee oder ein Gesicht? Oder beides?
… und umgekehrt: Fehlt der SPD eine Linke oder ein profilierter Linker? Schröders massenattraktive Performance und sein Themenriecher halten den Laden zusammen derzeit.
Und die zehn Euro beim Arzt? Wird das der Aufreger des Jahres bleiben – oder gewöhnt man sich halt dran und findet es Silvester 2005 schon ganz normal?
Funktioniert doch prima! Wenn Bild schreibt: „Man muss sich jetzt überlegen, ob man überhaupt zum Arzt geht“, ist das exakt das, was die Politik – und erst recht die Pharmalobby – an Sparpotenzial beabsichtigten.
Im Mai wird der neue Bundespräsident gewählt. Wer soll es werden? Wäre Schäuble akzeptabel?
Das Schwierige vorweg: „Kann ein Krüppel Kanzler werden?“, gab die legendäre Stern-Geschichte damals vor, Schäuble selbst zu zitieren. Belegt er sich selbst mit diesem Konnotat? Für manche wird untrennbar mitschwingen, dass Deutschland sechzig Jahre nach der „Euthanasie“ gegen Behinderte einen Rollifahrer zu seinem höchsten Repräsentanten wählt. Vor zwanzig Jahren wurde Amtsvorgänger Carstens auf einer Behindertenmesse von einem „Krüppel“ öffentlich geohrfeigt, weil er NS-Organisationen angehört hatte. Man mag das als politisch korrekt behämen – es ist auch gesellschaftliche Realität, dass Schäubles mögliche Kandidatur in einem noch spürbaren geschichtlichen Zusammenhang steht. Siehe auch: die geplante Heiligsprechung eines Verteidigers der Behinderten, Kardinal von Galen, des „Löwen von Münster“.
Ziemlich weiter Bogen. Ist das, was Schäuble inhaltlich vertritt, akzeptabel?
Moment: Galen wagte Widerstand von der Kanzel gegen die Mordprogramme der Nazis. Von der nämlichen Kanzel segnete er aber auch Soldaten, da es „gegen den gottlosen Bolschewismus“ gehe. Schäuble hat noch unter Kohl beim Parteitag seine „Vaterlandsliebe“ bekannt, das tat schon begrifflich nicht Not; aber er spielte auch den hübschen Trick, mit CDU-Stimmen die Grüne Antje Vollmer zur Vizepräsidentin zu wählen. Übrigens eine solide Grundausbildung fürs Bundespräsidentenamt, hätten die Grünen den Hintern in der Hose, eine eigene Kandidatin zu präsentieren.
Sie sind also für Schäuble?
Würden Sie auch fragen, wenn es nicht der Mann mit dem sichtbaren Schicksal wäre? Ungeachtet der Querschnittslähmung bliebe Schäuble ein Kandidat, der sich von der CDU ähnlich missverstanden und benutzt erlebte wie zuvor von Weizsäcker. Intellektuell brillant, und deshalb mitunter irrlichternd. Ein Risiko; ich meine: ein lohnendes.
Und wer wird der nächste Bundespräsident?
Nicht Schäuble. Irgendein Wühlschweinchen wird schon noch eine Baumeister-Schreiber-Kohl-Sauerei ziehen, und die Union wird Schäuble unter Androhung noch einer Spendenaffäre zum Verzicht zwingen.
Heinemann hat 1969 sozialliberal vorweggenommen, Weizsäcker hat später symbolisiert, dass das Bürgertum nicht komplett durch Kohl zu repräsentieren war. Was würde denn, worst case, ein Bundespräsident Wolfgang Gerhardt 2004 symbolisieren?
Westerwelles Anliegen, auch den geringsten potenziellen Konkurrenten auf den Mond zu schießen. Mehr und anderes, was für Gerhardt spräche, kann ich nicht erkennen.
Und was macht Borussia Dortmund?
Trainer- und Vorstandsdiskussion wurden beim BVB bisher nicht öffentlich geführt. Das gilt jetzt nicht mehr. FRAGEN: SR