Der nette Kapitalist

Er ist SPD-Mitglied, war Geschäftsführer der IHK und dient seit anderthalb Jahren als Staatssekretär für Wirtschaft unter den PDS-Senatoren Gregor Gysi und Harald Wolf. Was treibt einen Intellektuellen wie Volkmar Strauch in die Mühen der Politik?

Interview UWE RADA

taz: Herr Strauch, Staatssekretäre unter PDS-Senatoren sind nicht allzu lange im Amt, wie das Schicksal ihrer Kolleginnen Tebbe und Nickel zeigt. Zittern Sie schon?

Volkmar Strauch: Im Augenblick kommen Senator Wolf und ich so gut miteinander aus, dass ich mir das schwer vorstellen kann. In der Politik kann man aber nie wissen. Selbstverständlich hat Senator Wolf freie Hand, mich jederzeit in den Ruhestand zu versetzen.

Woher diese Bescheidenheit?

Ist das bescheiden? Ich habe ein gesundes Selbstvertrauen.

Sind Sie ein Macher?

Schwierige Frage. Ich fürchte, dass mir das Nachdenken über bestimmte Dinge mehr Spaß macht als das Umsetzen von Dingen. Das ist schon richtig.

Muss man in Ihrer Funktion nicht ein Macher sein? Oder reicht es, als Staatssekretär hinter den Kulissen zu wirken.

Das kommt auf die Strukturen und Personen an, die in der Verwaltung arbeiten. Unsere Verwaltung hat sehr viele Wechsel erfahren, in personeller wie auch politischer Hinsicht. Das hat die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Teil in ihrer Entscheidungsfreude beeinträchtigt. Viele warten noch zu sehr darauf, dass politische Entscheidungen von oben kommen. Eines meiner Ziele ist, dass bei jedem Problem, das ich zu entscheiden habe, der jeweilige Mitarbeiter mit einem Entscheidungsvorschlag kommt. Auch mit dem Risiko, dass dieser Entscheidungsvorschlag dann abgelehnt wird.

Stoßen Sie mit diesem Führungsstil auf Gegenliebe?

Manchmal sagen die Mitarbeiter, die oder jene Entscheidung wäre doch politisch zu treffen und keine fachliche Angelegenheit. Darauf antworte ich, dass jeder Mitarbeiter, der in einer Senatsverwaltung arbeitet, natürlich an der politischen Meinungsbildung mitzuwirken hat. Sonst ist er hier fehl am Platze. Das ist ein Verständnis, das bisher nur ein Teil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat. Es gibt aber Bereiche, die sind schon sehr entscheidungsfreudig, manchmal sogar so, dass ich mir wünschen würde, dass sie mich bei der einen oder anderen Gelegenheit auch vorher informieren.

Wie ist die Arbeitsteilung zwischen Ihnen und Harald Wolf?

Wir haben ein Riesenpaket an Problemen im Zusammenhang mit den Anstalten des öffentlichen Rechts. Der Senator ist bei der BSR, den Wasserbetrieben und der Behala Aufsichtsratsvorsitzender und hat damit dort einen deutlichen Schwerpunkt, den er aufgrund seiner Funktion auch mit sehr viel persönlichem Engagement bearbeitet. Dann ist der Senator auch in stärkerem Maße als ich das Bindeglied in den parlamentarischen Raum hinein, gerade auch aufgrund seiner Vergangenheit und natürlich auch für Abstimmungsgespräche auf Senatsebene. Da gibt es doch Konflikte und Probleme, die sich auf der Staatssekretärsebene nicht lösen lassen.

Erwartet man von einem Wirtschaftssenator nicht eher, dass er mit dem Jet um die Welt düst und nach Investoren Ausschau hält?

Um die Welt jetten hat nur dann Sinn, wenn solche Reisen extrem gut vorbereitet sind. Erfreulicherweise ist Berlin auch ein Ort, an den viele Unternehmer selbst kommen. Das heißt, man kann die Gespräche zum Teil auch vor Ort führen

Zwischen Ihnen und Herrn Gysi war die Arbeitsteilung deutlich. Der eine schüttelt die Hände, der andere ist der Arbeiter. Nun treffen mit Ihnen und Harald Wolf zwei Charaktere aufeinander, die sich eher ähnlich sind. Fehlt da nicht so ein bisschen die schillernde Figur, die für den Standort Berlin allein schon durch ihre Person wirkt?

Ich erlebe, dass sich Unternehmer eigentlich immer positiv über Harald Wolf und seine Art äußern. Es ist eine ruhige, sachliche und sehr überlegte Art, die insbesondere mittel- und langfristig sehr gut ankommt. Bei Gysi gab es immer ein Feuerwerk, aber Feuerwerke brennen irgendwann auch ab. Wolf ist ein sehr kontinuierlicher Arbeiter. Aber es stimmt schon, dass wir auf den höheren Ebenen noch mehr gute Verkäufer brauchen.

Woran gab es bisher zu wenige?

Die Auswahl der politischen Klasse folgt eben ganz bestimmten Regeln. Diese Regeln sind zum Teil problematisch. Ich selbst bin ja auch nur durch einen Zufall hier reingeraten. Normalerweise wäre ich hier nie gelandet. Das hat selbst mein Freundeskreis nicht richtig verstanden. Mein eigener Bruder hat gesagt, das ist ja furchtbar, jetzt gehörst du auch dazu. Der fand das gar nicht so witzig.

In der Tat sind Sie eine Ausnahme. Sie sind ja nicht nur Politiker. Sie sind ja auch Fachmann, Experte, also eine Art Expertenpolitiker, wie es sie in Deutschland eher selten gibt. Gibt Ihnen das mehr Spielraum, sich um die wirklichen Sachfragen zu kümmern. Und wenn ja, um welche?

Die entscheidende Frage lautet: Was muss der Staat machen, was muss der Private machen, was muss die Zivilgesellschaft machen. Meine feste Überzeugung ist, dass wir in einer Zeit leben, in der die Zuständigkeiten zwischen diesen drei Bereichen neu geregelt werden. Wir gehen deshalb davon aus, dass wir auch in der Politik, in der Verwaltung bei der Betrachtung staatlicher Aufgaben darauf achten müssen, wo eigentlich die Kernaufgaben des Staates sind, und dass wir das andere tatsächlich als Ballast abwerfen müssen. Beispiel: Ich bin Aufsichtsratsvorsitzender des größten landwirtschaftlichen Betriebes Europas.

Sie meinen die Stadtgüter.

Genau. Und ich frage nun: Ist es die Kernaufgabe einer Kommune, Landwirt zu spielen? Wir haben knapp 3.000 Milchkühe. Es ist auch nicht Aufgabe des Staates, Versicherungen zu betreiben. Das alles hat historische Ursachen, dass wir mal eine Feuersozietät hatten, aber nun ist das nicht mehr notwendig. Also diese Diskussion geht weiter. Wir wollen auch die Berliner Stadtgüter verkaufen, obwohl das nicht ganz einfach ist.

Ihre Unabhängigkeit lässt Sie vielleicht auf die Gründe schauen, warum die Politik sich mit diesen Dingen bislang so schwer getan hat.

Zum Teil hat es auch am Willen gefehlt, manche Dinge anzupacken. Zum Beispiel ist die Vorstellung, sich von Wohnungsgesellschaften zu trennen, ja erst drei Jahre alt. Da findet ein Wandel statt, der aber vorher nicht stattgefunden hat. Das Gleiche gilt bei der Frage, wie lange wir noch die Rechtsform der Anstalten öffentlichen Rechts brauchen.

Sie meinen, wir brauchen das nicht.

Richtig. Die Möglichkeit der Kontrolle hätten wir aber auch in einer Rechtsform der Aktiengesellschaft. Wichtiger ist aber, dass wir immer in einen Rollenkonflikt kommen, wenn wir etwa einerseits den Wohnungsmarkt für alle Berliner regeln wollen und andererseits aber auch als Vermieter Regelungen unterworfen sind. Da gilt das alte Wort von Ludwig Erhard, dass es ganz schwierig ist, Schiedsrichter zu sein und gleichzeitig in einer der Mannschaften mitzuspielen. Das hat man auch bei der BSR gesehen, wo uns ein Teil der Abgeordneten vorgeworfen hat, wir würden betriebliche Interessen unseres eigenen Betriebs schützen, wo wir doch viel eher ökologische und Verbraucherinteressen zu schützen hätten.

Wie steht es mit neuen Unternehmen in Berlin? Glauben Sie da überhaupt noch an größere Erfolge?

Ja. Sie müssten nur mal hören, wie man außerhalb Berlins über Berlin redet. Das ist ganz anders als in Berlin selbst. Erst recht gilt das für das Ausland.

Die Faszination einer Stadt ist schon lange kein Standortfaktor mehr.

Doch. Die Entscheider suchen einen Standort nicht nur nach harten ökonomischen Kriterien aus. Die interessiert zum Beispiel die Schulbildung, die Freizeit. Die sind hier wegen der Musik, der Kultur. Wenn wir hier ein Klima schaffen, dass junge, kreative, bildungshungrige Leute gerne nach Berlin kommen, ist das ein unschätzbarer Vorteil, weil diese jungen Kreativen in Zukunft ein knappes Gut sein werden. In Dänemark sieht man das schon, da gibt es einen richtigen Wettbewerb um junge Leute. In Deutschland fängt er in fünf Jahren an. Wenn diese Leute erst mal hier sind, kommen ihnen die Arbeitsplätze auch hinterher. Das beste Beispiel dafür ist die Musikszene.

MTV und Universal in Ehren. Andere Städte wie Dresden bekommen Infineon, und Leipzig bekommt ein neues BMW-Werk. Warum zieht Berlin bei solchen Standortentscheidungen immer den Kürzeren?

Wir landen zum Teil auf der Short-List. Bei BMW waren wir relativ lange mit dabei, und bei General Electric (GE) waren wir sogar bei den letzten drei Standorten. Bei BMW ist aber deutlich geworden, dass sich die Stadt noch geschlossener darstellen muss. Die Leipziger sind mit BMW über das Gelände geflogen, die haben das mit Luftballons markiert. Die haben eine Struktur, dass das, was der Oberbürgermeister sagt, auch gemacht wird. Und zwar sehr schnell. Und die Beigeordneten sagen auch nicht: Ich seh’ das aber anders.

Wäre das hier denkbar? Volkmar Strauch und Harald Wolf fliegen mit Investoren über Adlershof und schauen auf bunte Ballons?

Ja. Wir müssen uns da wirklich was einfallen lassen. Bei GE war es so, dass wir gut aufgestellt waren. Wir haben gute Gesprächspartner geliefert, Mediziner, Leute aus der ganzen Forschungslandschaft. Ich glaube, dass wir die Forschungsleute von GE auch überzeugt hatten. Wir haben es aber nicht geschafft, die Finanzleute zu überzeugen. Die wollten mehr Geld, als wir bieten konnten. Aber vom Ansatz her war das richtig. Ich denke, dass wir in Zukunft sehr viel mehr direkt auf Unternehmen zugehen werden, um sie nach Berlin zu holen.

Sie sprechen in der Zukunftsform. Wie sieht es denn konkret aus? Wann gibt es einmal eine gute Nachricht zu vermelden?

Einige Sachen sind bereits in der Mache.

Größere Sachen?

Auch größere Sachen, ja.

Sind Sie optimistisch?

In einigen Fällen bin ich sehr optimistisch.

Die können Sie uns jetzt natürlich nicht nennen.

Sie werden Verständnis dafür haben.

Sie sagen von sich, Sie seien eher ein nachdenklicher Mensch. Fehlt Ihnen nun, da Sie in der Politik sind, manchmal ein bisschen das intellektuelle Umfeld, das Sie ja zum Beispiel im Stadtforum immer um sich hatten?

Ja. Stadtplaner und Architekten sind in der Tendenz doch etwas nonkonformistischer. Ich erinnere mich an eine Begebenheit: Als wir das erste Kolloquium für das Ludwig-Erhard-Haus hatten, war kein einziger von den zwölf Architekten pünktlich, und auch kein einziger mit Krawatte da. Dafür war die Diskussion dann hochinteressant. Die Leute, die ich im Bereich Stadtentwicklung kennen gelernt habe, denken freier. Aber das war auch reizvoll, damals in der IHK für die freie Wirtschaft gegenüber denjenigen zu werben, die Aufträge für diese Wirtschaft eher abgelehnt haben. Ein Planungsbüro etwa, das wir mit einem Auftrag bedachten, hat erst lange intern diskutiert, ob sie für die kapitalistische Wirtschaft arbeiten wollen. Die waren es gewohnt, öffentliche Aufträge zu bekommen. Das passte ihnen auch besser ins ideologische Weltbild. Meine Funktion damals war es, den Kontakt dahinein zu suchen und auch zu finden. Wahrscheinlich haben die mich deshalb zu so vielen Diskussionen eingeladen, weil sie sich gesagt haben: Wenn wir schon einen von der Wirtschaft nehmen müssen, dann nehmen wir am besten den Strauch.

Der nette Kapitalist also.

So haben mich viele immer genannt, das ist richtig.

Sind Sie aber auch ein konsequenter Deregulierer. Schließlich fordern Sie immer wieder: weniger Staat und mehr Eigeninitiative.

Ja, schon. Aber: Eines der wichtigsten Themen der Stadt wird aber auch die soziale Gerechtigkeit werden. Es kann nicht so sein, dass sich nur diejenigen mehr Eigeninitiative leisten können, denen es gut geht, und für die, denen es schlechter geht, das einfach nur Verzicht auf soziale Unterstützung bedeuten würde. Ein angemessener Umgang mit dem Begriff der sozialen Gerechtigkeit, der allerdings nicht dazu führt, nur Bestandssicherung betreiben zu wollen, ist wichtig.

Behindert Ihr sozialdemokratisches Herz manchmal Ihren marktwirtschaftlichen Verstand?

Ich glaube nicht. Ich habe vom Kapitalismus rein amerikanischer Prägung nie so viel gehalten. Ich meine allerdings, dass wir lernen müssen, sehr viel mehr auf diese Zwischenebene der zivilgesellschaftlichen Einrichtungen zu vertrauen. Das ist wahrscheinlich aber eher grün als klassisch sozialdemokratisch.