: Irans Wächterrat wählt zuerst
Die meisten reformorientierten Politiker, die bei den iranischen Parlamentswahlen antreten wollen, dürften am Votum des konservativen Gremiums scheitern
BERLIN taz ■ Ungeachtet der Naturkatastrophe, der mehr als 40.000 Menschen in der Stadt Bam und Umgebung zum Opfer fielen, läuft in Iran der Wahlkampf zu den Parlamentswahlen Ende Februar auf vollen Touren. Die Anmeldefrist der Kandidaten ist abgelaufen. Nach Angaben des Innenministeriums haben sich 8.200 Bewerber für 290 Sitze im Parlament registrieren lassen. Mehr als 1.700 meldeten sich allein für die 30 Sitze, die der Hauptstadt Teheran zugeteilt sind. Die Kandidatenliste wird zunächst vom Innenministerium formal geprüft, danach muss der Wächterrat sie billigen.
Vor der Wahl ist dies die spannendste Phase, denn schon hier werden die Weichen gestellt. Richtete man sich nach der Verfassung, reichte eine formale Überprüfung für die Zulassung der Kandidaten aus. Doch der von Konservativen beherrschte Wächterrat nimmt für sich in Anspruch, Kandidaten auch aus politischen oder ideologischen Gründen abzulehnen. Der Versuch Präsident Mohammed Chatamis, durch ein Gesetz, das das Parlament verabschiedete, die Kompetenzen des Wächterrats festzulegen und ihm eine Gesinnungsprüfung zu untersagen, scheiterte am Widerstand der Konservativen.
Beobachter rechnen damit, dass der Wächterrat dieses Mal zahlreiche Kadidaten aus dem Reformlager ablehnen wird. Den Vorwand liefern Anklagen der Justiz gegen prominente Abgeordnete der Reformfraktion, die sich für ihre kritischen Äußerungen im Parlament vor Gericht verantworten sollen.
Said Mahmud Mirlohi, parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium und oberster Wahlleiter, sagte vor Journalisten: „Es ist unbegreiflich: Je engagierter ein Abgeordneter seinem Volk dient, desto dicker ist seine Akte bei der Justiz.“ Gegen 10 bis 15 Prozent der Mitglieder der Reformfraktion sei Anklage erhoben worden. Insgesamt sollen 120 Parlamentarier gerichtlich verfolgt werden.
Tatsächlich scheinen die Konservativen entschlossen zu sein, alle Mittel einzusetzen, um das Parlament wieder zurückzuerobern. Assadollah Badamtchian, einer der bekanntesten Wortführer der Islamisten, sagte: „Die Wahlen werden eine Wende bringen, Minderheit und Mehrheit werden die Plätze tauschen.“ Sein Kollege Hamid Reza Taraghi meinte, die Kontrolle durch den Wächterrat sei völlig legitim. In jedem Land gebe es für die Zulassung von Kandidaten bestimmte Kriterien. „Diese werden bei uns auf der Grundlage unseres Glaubens und unserer Verfassung vom Wächterrat festgelegt.“
Angesichts dieser Lage fragen sich manche Reformer, ob es nicht besser wäre, die Wahl zu boykottieren, zumal nicht einmal eine Mehrheit im Parlament das Land aus der Sackgasse herausführen würde.
Die totale Blockadepolitik der Islamisten hatte das Parlament lahm gelegt, so dass kein Gesetz, das auf ernste Reformen abzielte, durchgesetzt werden konnte. Die Enttäuschung darüber ist in der Bevölkerung sehr groß, so dass Beobachter mit einer geringen Wahlbeteiligung rechnen.
Schon bei den landesweiten Kommunalwahlen 2003 hatten die Wähler durch Verweigerung der Teilnahme ihren Unmut ausgedrückt. In Teheran betrug die Wahlbeteiligung 12 Prozent. Je geringer aber die Beteiligung, desto größer die Chance der Islamisten. Während Letztere über einen festen Wählerstamm von 10 bis 15 Prozent verfügen, können die Reformer kaum damit rechnen, auch dieses Mal die Gunst der Wähler zu erringen.
Dennoch halten die meisten Reformer eine Wahlbeteiligung für klüger als einen Boykott. Denn selbst eine Minderheit im Parlament könne ihre Stimme erheben und die absolute Macht der Islamisten verhindern. Mohammad Resa Chatami, Bruder des Präsidenten und Generalsekretär der Moscharekat-Partei, der größten Partei des Landes, sagte: „Wir werden an der Wahl teilnehmen, weil wir nicht zulassen wollen, dass unser Recht und das Recht des Volkes mit Füßen zertreten wird. Wir werden jede Gelegenheit nutzen, um dem Verderben und der Willkür, die unser Land bedrohen, Einhalt zu gebieten.“ BAHMAN NIRUMAND