: Auch im Konfliktfall nie rechtens
„Außergewöhnliche Umstände“, heißt es im Anti-Folter-Abkommen der UNO, „dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden“
von CHRISTIAN RATH
„Eine Abwägung, ob Folter im Einzelfall zulässig ist, kann es nicht geben.“ Dies erklärte Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer gestern gegenüber der taz. Er tritt damit allen Ansichten entgegen, folternde Polizisten könnten sich in besonderen Fällen eventuell auf einen „rechtfertigenden Notstand“ berufen. „Das Folterverbot gehört in unserer Rechtsordnung zum unverfügbaren Kern“, so seine Begründung.
Die Diskussion wurde ausgelöst durch das Vorgehen der Frankfurter Polizei im Entführungsfall Jakob von Metzler (siehe Artikel unten). Der mutmaßliche Entführer Magnus G. wurde nach der Lösegeldübergabe festgenommen, doch er weigerte sich, den Aufenthaltsort des Kindes anzugeben. Die Polizei ging davon aus, dass Jakob noch lebt und möglicherweise verhungert oder erstickt, wenn sie ihn nicht befreit. Also ordnete Polizeivize Wolfgang Daschner an, dem gefassten Entführer sollten „Schmerzen“ zugefügt werden, damit er den Aufenthaltsort des entführten Kindes verrate. Soweit kam es allerdings gar nicht, denn G. gab schnell auf, als ihm die Polizisten ihr Vorgehen ankündigte. Das Kind war allerdings schon vor der Lösegeldübergabe erstickt.
In mehreren Interviewäußerungen hatte daraufhin Geert Mackenroth, der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, erklärt, Folter könne zur Rettung „höherwertiger Rechtsgüter“ „erlaubt“ sein. Auch Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) äußerte sich ähnlich: „Dieser rechtfertigende Notstand ist jedoch die absolute Ausnahme und kommt darüber hinaus nur in Betracht, wenn die Tat zur Abwendung der Gefahr ein angemessenes Mittel ist.“ Die Diskussion verlagerte sich schnell vom tragischen Einzelfall auf eine grundsätzliche Ebene, und der Bund Deutscher Kriminalbeamter forderte sogar eine gesetzliche Klarstellung, weil den Polizisten „ellenlange juristische Diskussionen“ nicht zumutbar seien.
Inzwischen haben zwar alle Beteiligten klargestellt, dass eine Aufweichung des Folterverbots in Polizeigesetzen und der Strafprozessordnung auf keinen Fall geplant ist. „Daran verschwenden wir keinen Gedanken“, betonte Zypries. Es bleibt jedoch die Aussage, dass Folter im strafrechtlichen Einzelfall doch gerechtfertigt sein könnte. Auch der Richterbund hat nach einer Krisensitzung gestern bekundet, dass das Verbot der Folter „nicht relativiert“ werden darf. Nicht zurückgenommen wurde jedoch die Aussage des Verbandes, dass es vor Gericht in Einzelfällen „Rechtfertigungsgründe“ für Folter geben könnte.
Man muss sich klar machen: Wenn Folter in einzelnen Strafverfahren als Rechtfertigungsgrund anerkannt würde, dann wäre sie in diesem Fall „nicht rechtswidrig“, sondern rechtmäßig und erlaubt. Dann dürfte sich auch der Gefolterte nicht dagegen wehren, und ein Polizist, der einschreiten will, um das Folterverbot durchzusetzen, wäre im Unrecht. Selbst Mittäter der Folter, zum Beispiel Gefangene, die im Auftrag der Polizei einen Inhaftierten verprügeln oder vergewaltigen, würden dann rechtmäßig handeln, auch wenn sie selbst keinerlei Gewissenskonflikt hätten.
Ein klarer Verstoß gegen das Anti-Folter-Übereinkommen der UNO, das sagt: „Jeder Vertragsstaat trägt dafür Sorge, dass nach seinem Strafrecht alle Folterhandlungen als Straftaten gelten.“ Auch „außergewöhliche Umstände“, so das Abkommen, das seit 1990 auch für Deutschland gilt, „dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend gemacht werden“.
Folter kann und darf deshalb auch in tragischen Konfliktfällen nie rechtmäßig sein. Allenfalls kann von einer gemilderten oder fehlenden Schuld der beteiligten Polizisten ausgegangen werden. Das sehen auch die Abgeordneten Volker Beck (Grüne) und Dieter Wiefelspütz (SPD) so, die den Rücktritt von Mackenroth als Vorsitzendem des Richterbunds gefordert haben. „Es gibt keine rechtmäßige Folter in Deutschland“, betont Wiefelspütz, „wer so etwas auch nur in Erwägung zieht, begeht einen ungeheuren Tabubruch.“ Zu den Aussagen der rot-grünen Justizministerin wollen beide allerdings nichts sagen. Wiefelspütz erklärte nur ganz allgemein: „Ich beobachte mit großer Aufmerksamkeit, wer sich da mit klammheimlicher Zustimmung äußert.“ Und fordert weiter den Rücktritt von Geert Mackenroth.