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Archiv-Artikel

MVA-Gegner müssen Übergröße schlucken

Staatsanwaltschaft will offenbar Ermittlungen wegen zu großer Dimensionierung der Kölner Müllverbrennungsanlage einstellen. Stellungnahme für nächste Woche erwartet. MVA-Gegner enttäuscht. Weitere Verfahren noch in der Schwebe

VON PASCAL BEUCKER

Die Verantwortlichen für die völlige Überdimensionierung der Müllverbrennungsanlage (MVA) in Köln-Niehl können aufatmen. Offenbar will ihnen die Kölner Staatsanwaltschaft Ende der Woche die Bescheide über die Einstellung ihrer Ermittlungen zustellen. Wie es heißt, habe sich der Verdacht nicht erhärten lassen, dass der Müllofen in betrügerischer Absicht zu Lasten des Gebührenzahlers größer gebaut wurde als nötig.

„Das enttäuscht uns sehr“, kommentierte Rainer Zinkel von der Kölner Interessengemeinschaft Müllvermeidung statt Müllverbrennung (KIMM), die Einstellung der Ermittlungen. Er warf der Staatsanwaltschaft vor, sich „wenig Mühe“ gegeben zu haben. Gegenüber der taz wollte Oberstaatsanwältin Regine Appenrodt die Einstellung weder dementieren noch bestätigen. Auch machte sie keine Angaben über den Anzeigenerstatter sowie die konkret Beschuldigten. Dafür verwies sie auf eine mögliche Stellungnahme ihrer Behörde Anfang nächster Woche.

Wie die taz allerdings aus Justizkreisen erfuhr, sollen unter anderem der Ex-AVG-Aufsichtsratsvorsitzende und Ex-Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeier, Ex-Regierungspräsident Franz Josef Antwerpes sowie der zur Zeit im Müllskandalprozess vor Gericht stehende Ex-AVG-Geschäftsführer Ulrich Eisermann als Beschuldigte vernommen worden sein; sie können sich auf die Behördenpost freuen.

Anfang der Neunzigerjahre hatte der Stadtrat eine MVA mit einer Kapazität von 421.000 Tonnen beschlossen. Die tatsächliche Kapazität des Müllofens liegt jedoch deutlich höher. Inzwischen werden in der Anlage rund 650.000 Tonnen verbrannt, davon kommen weniger als 400.000 Tonnen Müll aus Köln.

Die Folgen für die Kölnerinnen und Kölner: extrem hohe Müllgebühren. In einem Bericht konstatierten die städtischen Rechnungsprüfer im Herbst vergangenen Jahres, dass man bereits 1992, also lange vor Baubeginn, hätte wissen können, dass die MVA leistungsfähiger werden würde, als es der damalige Stadtrat wollte. Die Verwaltung hätte „bei kritischer Auseinandersetzung mit den Unterlagen erkennen können, dass die Leistungsfähigkeit der Anlage“ deutlich höher war. Warum dies unterblieb, sei „unklar“. Da schon beim Bau des Milliardenprojekts Schmiergelder in zweistelliger Millionenhöhe geflossen waren, durfte sich die Staatsanwaltschaft gleich mit mehreren Strafanzeigen beschäftigen, in denen der Verdacht geäußert wurde, auch bei der Dimensionierung der Anlage sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen.

So war nach den Angaben Rainer Zinkels bereits Ende November letzten Jahres der Bürgerinitiative „Wohnen und Umwelt Kölner Norden“ mitgeteilt worden, dass auch die Untersuchungen aufgrund ihrer im Juli 2002 gestellten Strafanzeige gegen die Verantwortlichen der Müllofenbetreibergesellschaft AVG wegen „ungenehmigten Betriebs einer genehmigungsbedürftigen Anlage“ eingestellt worden sind. In ihrer Begründung habe sich die Staatsanwaltschaft dabei vor allem auf eine Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts vom Februar 2003 berufen, das eine Klage der KIMM wegen der möglicherweise durch Korruption verursachten überhohen Müllgebühren abgewiesen hatte. Das Urteil ist bislang allerdings noch nicht rechtskräftig, da die KIMM beim Oberverwaltungsgericht in Münster Berufung eingelegt hat.

Einen Erfolg jedoch kann die KIMM trotzdem vermelden: Aufgrund ihrer Beschwerde vom Februar 2002 interessiert sich jetzt auch die EU-Kommission brennend dafür, unter welchen Umständen Köln zu seiner Müllverbrennungsanlage gekommen ist. Laut Zinkel hegt die Kommission den Verdacht, bei der Gründung der AVG, bei der Vergabe von Entsorgungsleistungen an AVG-Untergesellschaften als auch bei der Bauvergabe an den Gummersbacher Anlagebauer Steinmüller könnte wegen fehlender europaweiter Ausschreibung gegen EU-Recht verstoßen worden sein. Die EU-Kommission habe deshalb die Bundesregierung zu einer Stellungnahme aufgefordert.