: Stochern im deutschen Atlantis
An 700 Orten könnte die Varus-Schlacht, bei der die Germanen vor 2.000 Jahren die imperialistischen Römer niedermetzelten, stattgefunden haben. Im Ringen um Beweise gewinnt derzeit der kleine Ort Kalkriese bei Bramsche Oberwasser
von Kai Schöneberg
Als die Römer frech geworden /Sim-serim-sim-sim-sim-sim /Zogen sie nach Deutschlands Norden /Sim-serim-sim-sim-sim-sim /Vorne mit Trompetenschall /Te-rä-tä-tä-tä-te-rä /Ritt der Generalfeldmarschall /Te-rä-tä-tä-tä-te-rä /Herr Quintilius Varus.
Ganze Grundschülergenerationen krähten das Lied zur Varusschlacht - wir konnten alle 14 Strophen auswendig! Später folterte uns der Lateinlehrer mit dem ach so tragischen Spruch von Kaiser Augustus: “Varus, gib mir meine Legionen zurück!“ - wir kritzelten derweil Nasen und Peace-Zeichen auf den Grabstein des in germanischer Wüstenei gemordeten Centurios Marcus Caelius im Fundamentum Latinum - unserem mit Ablativus absolutus, AcI und totaler Ödnis gespickten Lehrwerk. Tja, die legendäre Schlacht im Teutoburger Wald im Jahr 9 nach Christus, in der die ja eigentlich stockdoofen Germanen den bösen Besatzern drei Legionen, drei Kohorten und sechs Alen abschlachteten, ist der erste und immer wieder gern abgefeierte Deutschen-Mythos. 30.000 getötete, imperialistische Römer - eine tolle „David gegen Goliath“-Geschichte mit Cheruskerfürst Hermann als deutschem Asterix in der Hauptrolle.
Wo das Gemetzel aber eigentlich stattgefunden hat, ist bis heute höchst umstritten. Über 20 Millionen Menschen haben zwar schon das gigantöse Hermannsdenkmal bei Detmold besucht. Insgesamt waren jedoch bislang insgesamt 700 mögliche Standorte in der Diskussion. Die Varus-Schlacht, ein deutsches Atlantis.
Im Ringen um Beweise, Schlachtfeld-Touristen und damit um Jobs gewinnt derzeit der kleine Ort Kalkriese bei Bramsche Oberwasser. Gestern präsentierten Archäologen wieder mal neue „überraschende“ Erkenntnisse aus dem 10 mal 40 Meter großen Grabungsfeld im Osnabrücker Land: Der Griff eines römischen Helmes, Pilumspitzen und kleine Eisen- und Bronzeteile. „Das einzige, was uns nicht überrascht hat, ist, dass wir die Detmolder mal wieder enttäuschen müssen“, sagt die Kalkrieser Grabungsleiterin Susanne Wilbers-Rost trocken - und macht damit ganz klar deutlich, wer derzeit ihrer Meinung nach in der Standort-Frage die Hosen anhat.
Seitdem der britische Hobby-Archäologe Tony Clunn 1987 zwischen Bramsche und Osterkappeln 162 Denare entdeckte, haben sich die tempora und mores am Kalkrieser Berg entscheidend verändert. Archäologen fanden hier jede Menge römische Militaria, Alltagsgegenstände und vor allem Münzen. Auch der Rest einer mindestens 400 Meter langen Befestigungsanlage der Germanen kam ans Tageslicht. Die Untersucher wollen Überreste militärischer Ausrüstungsgegenstände gefunden haben, die von schwerer römischer Infanterie stammen. Die Inschrift auf der Schließe eines Kettenhemdes deutet angeblich auf die Kerntruppe einer Legion hin. Ferner sollen leichte Infanterie- und Kavallerieeinheiten sowie Versorgungstrupps ihre Spuren in Kalkriese hinterlassen haben. 1.500 Legionärs-Relikte will man gefunden haben.
Aufgrund der Anordnung der Fundstellen und der Topographie des Terrains soll sich sogar der Verlauf der Kampfhandlungen grob rekonstruieren lassen: Per Luftbild wurde acht Kilometer südöstlich der Grabungsstelle auf 700 Meter Länge ein dreifaches Grabensystem ausgemacht, bei dem es sich um die Relikte eines römischen Feldlagers handeln könnte. Auch die Münzfunde deuten darauf hin, dass die Schätze aus der Zeit der Varusschlacht stammen -keine der Prägungen ist jünger als 9 n. Chr. Bingo! Also vermuten die Kalkrieser heute, dass der Todesmarsch der römischen Legionen bei Schwagstorf begann und am dritten, dem entscheidenden Tag den Engpass von Kalkriese erreichte. Die Unebenheiten des Geländes, “feuchte Senken und Mulden“, dürften „den Römern beim Marsch und beim Kämpfen große Probleme gemacht haben“, sagt die Archäologin Wilbers-Rost. Vor allem eins macht den Kalkriesern Mut. Trotz Denkmal gab es auch in Detmold keine Zeugnisse für eine große militärische Auseinandersetzung. Und zum Glück ist derzeit auch ein Ende der Grabungsarbeiten nicht in Sicht: Nur ein Bruchteil des 17 mal 2 Kilometer langen Areals haben die Archäologen bislang durchstochert.
In dem Teutoburger Walde /Huh! Wie pfiff der Wind so kalte /Raben flogen durch die Luft /Und es war ein Moderdurft /
wie von Blut und Leichen
Wau, wau, wau, wau, wau /Herr Quintilius Varus /
Schnäde räng täng /Schnäde räng täng, de räng täng täng (...)
Als die Waldschlacht war zu Ende /Rieb Fürst Hermann sich die Hände /Und um seinen Sieg zu weih‘n /Lud er die Cherusker ein /Zu nem großen Frühstück.
Hu, da gab‘s westfäl‘schen Schinken /Bier, soviel man wollte trinken; /Auch im Zechen blieb er Held, /Doch auch seine Frau Thusneld /Trank walkürenmäßig...(und so weiter)