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Archiv-Artikel

„Das war teilweise etwas zu viel für mich“

Die Jüdische Gemeinde zu Berlin, die größte der Bundesrepublik, wird heute Abend einen neuen Vorsitzenden wählen. Der scheidende Vorsitzende, Alexander Brenner (70), zieht eine melancholische Bilanz seiner fast dreijährigen Amtszeit: „Ich habe noch nie so viel und so unproduktiv gearbeitet“

INTERVIEW PHILIPP GESSLER

taz: Herr Brenner, heute werden Sie den Vorsitz der Jüdischen Gemeinde zu Berlin wegen der Wahl Ihres Nachfolgers aufgeben. Sind Sie traurig?

Alexander Brenner: Was heißt traurig? Ich sehe es sicherlich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Manche Dinge werden mir fehlen, andere werden mir gut tun. Ich kann jetzt entspannen.

Worauf freuen Sie sich?

Auf etwas mehr Ruhe. Vor allem auf etwas weniger Ärger – Sie wissen, ich hatte keine sehr leichten knapp drei Jahre hinter mir. Ich hatte ja weder im Vorstand der Gemeinde noch im Gemeindeparlament, der Repräsentantenversammlung, eine Mehrheit. Ich habe deshalb noch nie so viel und so unproduktiv gearbeitet (lacht). Ja, so war es.

Sie haben nicht erreicht, was Sie bei Amtsantritt vorhatten: Gräben zuzuschütten innerhalb der Gemeinde. Im Gegenteil – im Vorstand wurden Sie gemobbt, die Gräben in der Repräsentantenversammlung waren in den drei Jahren tiefer denn je. Am Ende gab es vorgezogene Neuwahlen, die ersten seit 1945.

Unter „Gräben zuschütten“ verstand ich eine besseres Verhältnis zu den russischsprachigen Neueinwanderern in der Gemeinde – auch wenn diese Gruppe selbst heterogen ist. In Russland wurden sie mit allen Klischees als „Juden“ beschimpft, hier als „Russen“. Diese Gräben wollte ich zuschütten. Und auch wenn die Zeit dabei eine Rolle spielt: Allmählich geht es. Aber im Vorstand waren die Gegensätze sehr groß – um es euphemistisch auszudrücken.

Sind Sie gescheitert?

Das würde ich nicht sagen. Aber innerhalb des Vorstandes gab es eine nicht sehr gute Stimmung, das muss ich sagen. Ich war ja relativ neu. Es war ein Fehler von mir, kein Referat oder Dezernat zu übernehmen, da ich glaubte, mich den übergeordneten Aufgaben widmen zu müssen. Das Ergebnis war, dass ich völlig übergangen worden bin. Das brachte den Ärger. Es wurden Dinge unternommen ohne mein Wissen. Das war nicht gut.

Sind bei Ihnen Wunden zurückgeblieben?

Zum Teil ja. Da gab es auch Schläge unter die Gürtellinie. Die Jüdische Gemeinde ist ein politischer Mikrokosmos mit vielen Konfliktherden. Das war teilweise etwas zu viel für mich.

Der Haushalt 2004 ist noch nicht verabschiedet. Es gibt ein Finanzloch von 1,4 Millionen Euro. Keine gute Bilanz, oder?

So schlimm ist es nicht bei einem Etat von etwa 25 Millionen Euro. Sicher ist es schlecht, dass man ein Minus hat. Aber so schlimm ist es nicht im Vergleich zu anderen Organisationen.

Zum Erzbistum etwa.

Ja. (lacht) Es ist ein schwacher Trost, aber es ist so. Nicht nur im Vergleich zum Erzbistum. Das Defizit ist nicht gut, aber es wurde im vergangenen Jahr kleiner, wodurch auch immer. Ich hoffe, dass es dem neuen Vorsitzenden gelingt, das Defizit weiter zu reduzieren. Wir haben als Gemeinde eben einige Aufgaben, bei denen wir auf jeden Fall zuzahlen, etwa bei den Schulen, den Synagogen und dem jüdischen Restaurant. Gleichwohl lässt sich sparen bei der Verwaltung. Sie existiert seit 60 Jahren und war notwendig. Aber jetzt gibt es ein paar alte Zöpfe, die unter einem gewissen Schmerz abgeschnitten werden sollten. Aber es ist wie überall: Alle sagen, wir müssen sparen, aber nicht bei mir.

Wie viele Mitarbeiter müssten eigentlich gehen?

Das kann ich schlecht sagen. Aber meiner Ansicht nach könnte man auf einen Teil des Personals verzichten. Das wird für den neuen Mann sehr schwierig sein. Aber er hat, im Gegensatz zu mir, die Chance: Er hat eine erhebliche Mehrheit sowohl in der Repräsentantenversammlung wie im Vorstand, so dass er solche unbequemen Maßnahmen durchführen kann.

Was ist Ihnen gelungen?

Ja, das ist eine gute Frage. (lacht) Bei einigen politischen Fragen gab es einen Konsens. Zum einen der Kampf gegen Rechtsradikalismus und Antisemitismus. Da haben wir einiges durchgeführt, etwa bei der Affäre Möllemann. Erfolg gab es auch bei der Integration der Zuwanderer, etwa bei Jugend- und Studentengruppen. Auch an den Gottesdiensten nehmen zunehmend Gemeindemitglieder teil, die aus der UdSSR stammen. Das ist aber nicht allein auf mich zurückzuführen. Einen Konsens gab es auch bei der Verbundenheit mit Israel.

Ist das Verständnis für Israel in Deutschland gesunken?

In der jüdischen Gemeinschaft hat die Solidarität mit Israel zugenommen – wegen eines zunehmenden Neo-Antisemitismus, der undercover auftritt als neuer Antizionismus oder Antiisraelismus. Das sehe ich bei unseren Studentengruppen und unseren Jugendlichen. In der nichtjüdischen Öffentlichkeit gibt es ganz klar eine Zunahme von Antisemitismus. Zumindest tritt er offener auf als früher – unter der Maske des Antizionismus. Es gibt Vergleiche mit den Nazis. Es ist eine Dämonisierung Israels, und die nimmt zu. Da gibt es gar keinen Zweifel. Nicht nur in Deutschland übrigens. Sie kennen ja diese europaweite Umfrage, die, trotz ihrer Schwächen, festgestellt hat, dass den Europäern Israel zu 59 Prozent als die „größte Kriegsgefahr“ in der Welt gilt. Das stimmt einen nachdenklich.

Sind Sie froh, dass Sie Ihre Personenschützer nun los sind?

Jein. Man hat sich daran gewöhnt. Und dann ist es bequem.

Warum?

Man wird überall hingebracht, braucht nicht zu parken. Andererseits ist das natürlich ein Einschnitt ins Privatleben. Auch da ein weinendes und ein lachendes Auge.

Was hat Spaß gemacht in Ihrer Zeit als Gemeindevorsitzender?

Die politische Seite hat mir Spaß gemacht, auch wenn es zu Konflikten kam. Es waren sachliche Debatten, die man auf relativ hoher Ebene führt. Man setzt sich ein für Probleme, mit denen man sich als gewöhnlicher Sterblicher sonst nicht auseinander setzt. Auch der Umgang mit der Presse hat Spaß gemacht. Selbst wenn es nicht konfliktfrei war.

Ihr Vater hatte ja einen Buch- und Zeitungsladen. Wollten Sie mal Journalist werden?

Ja, zu prähistorischen Zeiten habe ich mal geschrieben. Ich hatte sogar ein Pseudonym: „Alexander Bunsen“.

Man wird von der Presse auch oft hart angepackt.

Na ja, das gehört zum Job, besonders heute wahrscheinlich. (lacht) Es macht Spaß, auch wenn es masochistisch ist.

Jetzt steht die Gemeinde angesichts der großen Mehrheit der Gruppe Ihres designierten Nachfolgers, Albert Meyer, offenbar vor einem Neuanfang …

… ob es ein richtiger Neuanfang wird und alle Reformen gelingen, wird sich herausstellen. Zudem ist Meyers Gruppe sehr heterogen. Selbst Herr Meyer kennt seine gesamte Gruppe noch gar nicht so gut – er hat ja auch nicht damit gerechnet, dass er so viele Leute in die Repräsentanz bekommt.

Aber deutlich ist auch, dass es einen Schwung hin zu den Liberalen gibt.

Das würde ich nicht sagen. Das sind Etiketten. Ich kenne ebenso viele illiberale Liberale wie liberale Orthodoxe.

Sie kehren zurück in die Pension: Was haben Sie vor? Mehr lesen?

Auch das. Allerdings bleibe ich vielleicht noch in ein paar Gremien, etwa im Zentralrat. Vielleicht schreibe ich auch etwas.

Über die Erfahrungen als Gemeindevorsitzender?

Auch das. Ich habe ja ein bewegtes Leben hinter mir.

Sie müssen ganz ehrlich sein!

Können Sie mir einen Memoirenschreiber nennen, der 100-prozentig ehrlich war?