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Archiv-Artikel

Bleiben Sie bloß gesund!

Die Gesundheitsreform trifft die Patienten hart, die sowieso schon wenig haben: Schwer Kranke und Pflegebedürftige. Auch wenn sie auf Sozialhilfe angewiesen sind, gibt es keine Ausnahmeregelungen

VON SUSANNE AMANN

Der Slogan klingt gut: „Damit Deutschland gesund bleibt“. So wird die Gesundheitsreform beworben, die seit dem 1. Januar in Kraft ist. Dass sie auch Menschen betrifft, die schon krank sind, scheint dabei nicht im Vordergrund zu stehen – obwohl Praxisgebühren, Zuzahlungen und höhere Selbstbeteiligung gerade die Patienten treffen, die oft und regelmäßig zum Arzt müssen: Drogenabhängige, HIV-Kranke, Alzheimerpatienten, Menschen mit Multipler Sklerose. Kurzum: Pflegebedürftige und chronisch Kranke aller Art.

Sie müssen die Praxisgebühren und Zuzahlungen wie alle anderen auch aus eigener Tasche zahlen – so lange, bis die Grenze von 2 Prozent ihre Bruttojahreseinkommens erreicht ist. Das Problem: Viele der chronisch kranken Patienten sind auf Sozialhilfe angewiesen, dass heißt, sie leben etwa in Berlin von 296 Euro im Monat. Da fallen die rund 70 Euro, die die Eigenbeteiligung pro Jahr etwa ausmacht, sehr deutlich ins Gewicht. „Das ist sicher nicht lebensbedrohlich für unsere Patienten, führt aber zu deutlichen sozialen Verwerfungen in den ersten Monaten“, sagt Gabriele Bellmann, die als Ärztin in einer Kreuzberger Drogenambulanz arbeitet. Sie hält die Zuzahlungen, die etwa auf einen HIV- oder Hepatitis-Patienten in den ersten Wochen zukommen, für unzumutbar. Denn erst wenn die 70 Euro bezahlt sind, kann bei den Krankenkassen eine Befreiung beantragt werden. Das heißt: In den ersten ein, zwei Monaten müssen die Patienten überproportional viel selbst zahlen und Quittungen sammeln.

Das Gleiche gilt auch für Menschen, die beispielsweise in Altersheimen betreut werden. Ob es die Taxifahrt zum Arzt ist oder nur um das Rezept für die täglichen Medikamente geht: Die Zuzahlungen verkomplizieren nicht nur den Ablauf und Arbeitsaufwand des Pflegepersonals, sondern treffen auch die, die „sowieso schon mit dem finanziellen Minimum“ auskommen müssen, wie Joachim Mordeja vom Caritas-Verband Berlin kritisiert. „Von dem bisschen Geld, das die alten Menschen noch haben, müssen wir ihnen dann noch die Zuzahlungen abziehen.“ Gleiches gilt im Übrigen auch für Behinderte, die in Heimen untergebracht sind und in der Regel mit einem kleinen Taschengeld von vielleicht 60 oder 70 Euro im Monat leben. „Die Gesundheitsreform sieht hier keine Sonderregelungen vor“, so Mordeja. Egal, ob es um Heimbewohner mit Taschengeld oder um Empfänger von Sozialhilfe oder Grundsicherung geht.

Die einzige Ausnahme gilt für chronisch Kranke. Momentan ist aber noch nicht klar, wer als „chronisch krank“ gilt und wer nicht. Genau diese Definition aber entscheidet darüber, wer statt der 2 Prozent nur 1 Prozent zuzahlen muss. Noch im Dezember hatte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) den Richtlinienentwurf von Kassen und Ärzten gestoppt (siehe Kasten). „Nach dem ersten Entwurf würden ja nur noch sehr wenige Menschen als chronisch krank gelten“, kritisiert Berndt Maier, Geschäftsführer des Berliner Sozialverbands VdK. „Danach hätten Patienten, bei denen beispielsweise Rheuma oder Multiple Sklerose im Anfangsstadium festgestellt wird, nicht als Chroniker gegolten“ – und das, obwohl sie vom Zeitpunkt der Diagnose an regelmäßig zum Arzt gehen und Medikamente schlucken müssen.

Auch Christian Jellinek, Arzt einer Neuköllner Drogenambulanz, kritisiert die fehlende Regelung: „Wir haben eine Fülle von Patienten, die auf die Zuzahlungen angewiesen sind.“ Für die sei entscheidend, ob sie 1 oder 2 Prozent zahlen müssten. „Ziel dieser Debatte ist doch nur, möglichst wenigen Patienten den Status des Chronikers zu geben, um so mehr Geld in die Kassen zu bekommen“, so Jellinek.

Ob man mit Sozialverbänden oder Ärzten spricht, die chronisch Kranke behandeln, das Fazit ist stets das Gleiche: Die Zuzahlungsregelungen treffen die Ärmsten der Armen. „Eigentlich ist das verfassungswidrig, dass hier Menschen belastet werden, die sowieso schon am Existenzminimum leben“, sagt die Ärztin Bellmann. Deswegen sei es absurd, bei diesen Menschen die ausstehenden Gebühren unter Umständen sogar pfänden zu wollen. „Die leben doch schon unter der Pfändungsgrenze“.

Zu Finanzschwierigkeiten kommt die generelle Verunsicherung: „Seit Monaten haben unsere Patienten Angst, weil sie nicht wussten, was auf sie zukommt“, erzählt Bernd Westermann, der in der Kreuzberger Drogenambulanz für die psychosoziale Betreuung zuständig ist. „Gerade bei Persönlichkeitsstörungen ist Angst eine Grundkomponente – einige meiner Patienten waren deshalb wirklich kurz vor dem Durchdrehen.“