: Autos überfahren Kultur
Siegen leistet sich für 2,5 Millionen Euro einen neuen Kreisverkehr auf Pump. Dafür müssen zwei alteingesessene Kultureinrichtungen weichen. Die Stadt hätte aber gerade die nötig
VON BORIS R. ROSENKRANZ
In Siegen steht es schlecht um die Kultur und die Stadtfinanzen. Verwunderlich, dass die schwarze Stadtspitze gerade jetzt zwei alteingesessene Einrichtungen für viel Geld abreißen will: Der Volkseigene Betrieb (VEB), ein ehrenamtlich organisiertes Forum für subkulturelle Konzerte und Theater, und das Schwulen-Begegnungs-Zentrum (SBZ) sollen im Herbst einem Kreisverkehr weichen. Die Kündigung liegt den Betreibern bereits vor, im September müssen sie ihre Räume verlassen. Kosten des Autofahrerkaroussels: rund 2,5 Millionen Euro.
Michael Groß, Fraktionschef der Grünen im Kreis, ist sauer: „Siegen ist pleite ohne Ende“, schäumt er, „und will jetzt auf Pump einen Kreisverkehr bauen, der gar nicht nötig ist.“ Dabei bezieht er sich auf das Gutachten eines Berliner Ingenieurbüros, wonach ein Kreisverkehr für das anfallende Verkehrsaufkommen gar nicht geeignet sei. Im Rathaus heißt es dazu bloß: Es könne funktionieren, wenn sich die Autofahrer richtig verhalten. Andrea Wertz vom VEB ahnt indes, wie es kommen könnte: „Erst mal wird gekündigt und abgerissen, und dann passiert sowieso nichts.“
So abwegig scheint das nicht: Siegens Verkehrsbeauftragter Dietrich Schlenther spricht von einer Fertigstellung „erst nach 2008“ und räumt ein, dass auch die nötigen Landeszuschüsse noch fehlen. Ende des Jahres solle lediglich der bereits existierende provisorische Kreisel erweitert werden – und dabei stehe zumindest das SBZ im Weg. Es sieht also so aus, als würde das VEB nach über 20 und das SBZ nach knapp acht Jahren für immer schließen. Zwar lag den Betreibern eine Liste der Stadt mit alternativen Immobilien vor. Doch die wurde im Rathaus flugs für ungültig erklärt. Alles streng geheim! Den Grünen Groß wundert das: Eigentlich habe man erst nach einem neuen Domizil für VEB und SBZ suchen wollen: „Die derzeitige Lage ist für alle unzufriedenstellend.“
Dabei hätte Siegen Kulturbetriebe durchaus nötig. Es ist schon etwas her, dass sich die Stadt mit namhaften Gästen schmücken konnte. Mit Paul McCartney zum Beispiel. Der Ex-Beatle reiste 1999 in die südwestfälische Provinz, um dort erstmals seine „paintings“ der Öffentlichkeit zu zeigen. Das lockte natürlich die Presse an: Fernsehleute, Radio, Zeitung – alle waren da. Doch derlei Aufmerksamkeit war den Siegenern neu, durfte doch oft schon ein Konzert von Softsänge rHoward Carpendale als Blüte in der eher welken Kulturlandschaft gelten. Gewiss: Grönemeyer war auch da. Und Santana. Aber, wie gesagt: Das ist Jahre her.
Heute verirren sich solche Namen nur selten noch in die selbst ernannte „Provinz voll Leben“. Bestes Beispiel für den popkulturellen Zerfall der Stadt ist die Siegerlandhalle, ein rund 3.000 Menschen fassender Multifunktionsklotz aus den 1960er Jahren. Mochte die Halle damals noch den Anforderungen einer Konzertproduktion gewachsen sein, so ist sie heute dabei, sich selbst zu überleben. Vergangenes Jahr erst platzte dort in letzter Sekunde ein Konzert der Band P.O.D., als sich beim Soundcheck Teile aus der porösen Hallendecke lösten. Auf der städtischen Bühne sieht es nicht besser aus. Seit Jahren geistert zwar die Idee durch die Gassen, im leer stehenden Apollo-Kino ein subventioniertes Schauspiel einzurichten – bisweilen ist das jedoch nur schöne Utopie in einer Stadt, wo allenfalls Tournee-Theater mit leichtverdaulichem Boulevard gastieren.
Dennoch ist Steffen Mues zuversichtlich. „Ende des Jahres soll im Apollo mit der Kernsanierung begonnen werden“, sagt der Kulturdezernent. In der Spielzeit 2006/2007 könne dann der erste Vorhang in Siegen wieder fallen. Ob der gewünschte Termin eingehalten werden kann, ist allerdings fraglich.