Erwin Koch bekommt im Literaturhaus für sein Romandebüt „Sara tanzt“ den Mara-Cassens-Preis
: Cello gegen Folter

10.000 Euro für das beste Romandebüt eines Jahres: der Mara-Cassens-Preis ist die bundesweit höchst dotierte Auszeichnung für einen Erstling, und mit dieser Summe lässt sich das Ziel der Hamburger Stifterin und Namensgeberin, es den AutorInnen zu ermöglichen „sich eine gewisse Zeit ganz dem Schreiben zu widmen“, wohl erreichen.

Die Jury hat sich diesmal für einen Autor entschieden, der sich der Welt schon lange und hauptberuflich schreibend annähert, aber erst jetzt den literarischen Ausdruck wählte. Sara tanzt ist das Debüt des 1956 geborenen Journalisten Erwin Koch, der für seine Reportagen schon zweimal mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet wurde. Im Literaturhaus nimmt er nun seine erste literarische Ehrung entgegen und wird auch lesen.

Seinen Stoff schöpft Koch aus der Realität, und in Form einer Reportage hat er die Geschichte schon einmal erzählt: die Begegnung zwischen einer inhaftierten Widerstandskämpferin und einem Angehörigen des argentinischen Geheimdienstes, und wie daraus eine Art von Liebe werden konnte. Das kaum Vorstellbare dieser Tatsache mag mehr und andere Fragen aufgeworfen haben, als die journalistischen Mittel zur Verfügung stellten. Jedenfalls hat Koch sich entschlossen, daraus einen Roman zu machen. Die Grenzen des Faktischen dürfen fallen zugunsten einer fiktionalen Einfühlung, die versucht, die Realität im Gefängnis zu fassen – und sich dennoch des Blicks von außen bewusst bleibt. Das schützt Koch vor einer anmaßenden Erzählweise. Er nähert sich der Bedrohung durch die Folter durch eine Technik der Auslassung.

Sara, Mitglied einer Widerstandsorganisation in einem namenlosen Land, in dem eine Militärdiktatur herrscht, wird verhaftet und in ein geheimes Haus gebracht. Hier beginnt ihr Ausgeliefertsein an ihre Folterknechte. Auf ein Bett gefesselt, meist blind durch eine Augenbinde, nimmt sie nur Geräusche und Gerüche wahr. Was genau geschieht, wenn sie zu ihr gehen, mit oder ohne Kabel, beschreibt Koch nicht. In den Auslassungen und Andeutungen nehmen sich Bedrohung und Schrecken Raum. Die Perspektive des allwissenden Erzählers entwickelt sich immer mehr zu jener Frits‘, eines Handlangers der Folterer: Ein mittelmäßiger Cellist ist er, der die Schreie der Gefolterten „überspielt“. Ein Mitläufer, ein Weggucker. Sara redet um ihr Leben, erfindet „Fakten“. Und sie summt Lieder gegen den sie anwehenden Wahnsinn. Frits notiert die Melodien zwecks Entschlüsselung geheimer Botschaften.

Als der politische Wind sich wendet, wird das Miteinander zu einer Art Notgemeinschaft. Ein Vakuum, in dem die Grenzen zwischen Opfer und Tätern auf anstößige Weise verwischen, weil die Gewalttäter alltäglich menschlich werden und Sara nur „freundlich“ darauf reagieren kann. In dieser Atmosphäre fällt Frits‘ erster widerständiger Satz, er verliebt sich in Sara und plant ihre Rettung. Wie dieser Blasse, Angepasste dazu kommt, weiß er selbst nicht. Welcher Art die Verbindung von Sara zu ihrem Lebensretter ist, bleibt vage. Sie ruft ihn an nach ihrer Befreiung: „Ich fürchte, ich brauche dich.“ Sie heiraten. Und bevor er Jahre später von der neuen Regierung als Kollaborateur verhaftet wird, sagt sie aus: „Einer, aber der gehörte nicht wirklich dazu, der führte nur Kartei und spielte Cello, damit man meine Schreie nicht hörte, der ist mein Mann.“ Ist das Ent- oder Belastung? Auch ganz am Schluss des Romans deutet Koch eine tiefe Ambivalenz Saras an. Den Geheimniskern des Romans wie der Realität lässt er fast unversehrt und legt so die Grenzen auch der literarischen Näherung an diese Art der Bindung offen.

Carola Ebeling

Erwin Koch: Sara tanzt. Zürich: Nagel & Kimche 2003, 174 S., 17,90 Euro.Preisverleihung am 13.1., 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38