: Die Erklärerin
Halima Krausen ist eine der wenigen Imaminnen Deutschlands. An der Moschee zur Schönen Aussicht in Hamburg berät sie deutschsprachige Muslime. Sie ist Theologin – auch gegen den Widerstand konservativer Gläubiger und deutscher Forschungskreise, die auf ihre Universitätsabschlüsse pochen. Vor allem aber ist sie eines: hartnäckig
VON FRIEDERIKE GRÄFF
Zurzeit ist Halima Krausen am Telefon eher kurz angebunden. Sie ist gerade von einer Reise zurückgekommen und es gibt, so sagt sie, „viel Klärungsbedarf“. Seit der Islamwissenschaftler Muhammed Sven Kalisch in Frage gestellt hat, dass der Prophet Mohammed als historische Figur gelebt hat, sind die Menschen auch in ihrer Gemeinde sehr besorgt. „Das Ausmaß der Angst wundert mich“, sagt Halima Krausen.
Sie ist in einem Umfeld aufgewachsen, in dem Zweifel dazugehörten. Ihr Religionslehrer an der Schule erklärte, dass Jesus vielleicht nie gelebt habe, und später, als Krausen die islamischen Theologen des 12. Jahrhunderts las, stieß sie auf Gelehrte, die freimütig schrieben, dass Gott selbst keine Attribute habe. Sondern dass es die Menschen seien, die ihre Beziehung zu Gott beschrieben. Und weil Halima Krausen eine nüchterne, praktisch denkende Frau ist, fügt sie noch etwas hinzu: Die Verbände, die jetzt fordern, dass Muhammed Sven Kalisch nicht länger muslimische Religionslehrer ausbilden dürfe, hätten eben jenen Kalisch, dessen Thesen so neu nicht seien, schon vor Jahren zu Diskussionsveranstaltungen eingeladen.
Halima Krausen ist eine der wenigen Imaminnen in Deutschland. Formal gesehen ist sie Konvertitin. Sie ist sozusagen aus Prinzip außen vor. Als Schülerin ging sie zu Tchibo, um mit den ersten Gastarbeitern über den Islam zu sprechen, ohne dass ihre Mutter davon erfahren sollte. Heute ringt sie darum, als Theologin ernst genommen zu werden, gegen den Widerstand konservativer Muslime und gegen den deutscher Zeitschriften, die lieber Aufsätze von Autoren veröffentlichen, die sich an einer Universität habilitiert haben. Krausen dagegen hat die islamische Lehrberechtigung, die Idschasa, bei einem Imam erworben. „Das entspricht inhaltlich einer Habilitation“, sagt sie. Aber das ist für die Forschungszirkel nicht immer verständlich. Also gibt es auch hier Klärungsbedarf. Eigentlich gibt es da, wo Halima Krausen hingeht, fast immer Klärungsbedarf, und das muss manchmal mühsam sein.
Mit ihrem hellblauen Anstrich, den Türmen und den Wasserspielen sieht die Moschee zur Schönen Aussicht an der Hamburger Alster aus wie eine Stein gewordene Kindervorstellung von Tausend und einer Nacht. Das Zimmer von Halima Krausen ist vollgestopft mit Büchern, auf dem Schreibtisch liegen unter anderem eine Bibel und ein Buch mit dem Titel „Pour une critique de la raison islamique“. Draußen an der Tür hängt ein Schild: „Halima Krausen. Beratung, Seelsorge, Schul- und Dialogangelegenheiten“. Es ist ein kleines Schild, gerade mal eine größere Visitenkarte – und ein Politikum: Wäre es nach den Vorstellungen des Vorstands gegangen, wäre Krausen wohl vor allem mit Repräsentations- und Sozialarbeit beschäftigt. Nun ist sie für die Belange der deutschsprachigen Muslime zuständig. Meist sind es gemischte Familien, sei es religiös, sei es national, die sie berät, sagt sie, in einem „Zwischending zwischen Eheberatung und Rechtsauskunft“.
Es sind konservative Ehemänner, die versuchen, ihre Frauen unter Kontrolle zu halten; idealistische Frauen, die konvertieren wollen, nicht weil die Religion sie überzeugt, sondern weil sie ihrem Ehemann gefallen wollen; Frauen, die nicht verstehen, warum ihr Mann seiner Herkunftsfamilie so viel Geld überweisen will; und Männer, die nicht verstehen, warum ihre Frau die Großfamilie nicht wertschätzt. „Wie habt ihr euch das gedacht?“, fragt Halima Krausen die Paare, wenn sie vor ihr sitzen und meist haben sie sich nichts gedacht. „Welchen Religionsunterricht sollen die Kinder besuchen?“, fragt Halima Krausen, „braucht die Ehefrau nach den Gesetzen des Heimatlandes ihres Mannes eine Arbeitserlaubnis?“, will sie wissen. „Wie wollen Sie mit Geld umgehen?“ und: „Gibt es einen Ehevertrag?“ Krausen sagt den Paaren nicht, wie sie es machen sollen. Aber sie will, dass ihnen klar ist, worauf sie sich einlassen.
Sie selbst ist mit einem gebürtigen Pakistaner – und mittlerweile dänischen Staatsbürger – verheiratet und als sie das erste Mal ihre Schwiegereltern besuchte, war ihre Schwiegermutter besorgt, als sie allein das Haus verließ; sie verstand nicht, warum die Schwiegertochter so viel las, statt fernzusehen, warum sie zum Gebet in die Moschee gehen wollte, statt zu Hause zu beten. Halima Krausen hat sie davon überzeugt, dass sie auch außerhalb des Hauses gut auf sich aufpassen könnte. Aber ihre Ausgangsbedingungen waren besser als die vieler der Frauen, die sie berät: Sie beherrschte die Sprache, sie kannte die religiösen Bräuche. Schließlich hat sie den Islam für sich gefunden, als sie gerade mal Schülerin war.
Das klingt spektakulär, aber Halima Krausen beschreibt ihre Konversion sehr sachlich, mit dem größtmöglichen Abstand zu dem, was sie das Konvertitenklischee nennt, mit dem „Hexenjagd betrieben“ werde: „Ich wechselte nicht eine Schublade von a nach b“, sagt sie, „ich entdeckte meinen Weg zu Gott.“ Sie ist in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem der eigentlich evangelische Vater der Mutter zuliebe zum Katholizismus konvertierte.
Mit neun Jahren las Halima Krausen die Bibel, konnte viel anfangen mit Jesus, auch mit der Idee der Auferstehung, aber nichts mit der Vorstellung, dass er für ihre Sünden büßte und auch nichts mit dem Bild der Dreieinigkeit. Im Haushalt ihrer Eltern gab es ein Buch mit weisen Sprüchen aus verschiedenen Religionen, und der Islam war am häufigsten vertreten. Daraufhin ging sie in die Bibliothek, um mehr zu erfahren. „Mit 13 Jahren wusste ich, dass ich Moslem bin.“ Halima Krausen hat ihren Weg für sich behalten, „sei es aus Feigheit oder Schonung“, sagt sie, in jedem Fall war ihr bewusst, dass sie damit nicht auf Wohlgefallen stoßen würde.
Und so war es: Ihre Mutter, die heimlich ihr Tagebuch las, bat den örtlichen Priester und den Religionslehrer, die Tochter auf den richtigen Weg zurückzubringen: den christlichen Weg. „Es war wie barfuß durch die Hölle und zurück“, sagt Halima Krausen, der jedes Pathos fremd ist. Dabei hat sie verstanden, dass es aus der Perspektive der Mutter etwas Ungeheuerliches war, was sie tat. Und deshalb hat sie ihre Kopftücher lockerer gebunden, wenn sie zu Hause war, und sich nicht beklagt, dass die Mutter Schweinefleisch kochte wie eh und je.
„Wie kannst du an eine Karl-May-Religion glauben, bei der die Frau keine Seele hat?“, fragte sie der Religionslehrer, und ihre Mitschüler, mit denen sie zu den Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze ging, glaubten, dass es doch nur die Angst vor dem Tod sei, die sie in die Arme der Religion trieb. Heute, in Hamburg, wird sie kaum angefeindet. Es gab einmal eine Kassiererin, die ihr auf den Arm schlug und rief „Ausländer raus!“ Der hat Krausen geantwortet: „Ich kann nicht. Ich muss erst noch bezahlen.“ Wenn sie fliegt, tauscht sie das Kopftuch gegen eine Wollmütze um, damit sie nicht als potenzielle Bombenträgerin beargwöhnt wird.
Mehr Zugeständnisse kann sich bei Halima Krausen nicht vorstellen. Wie man sie sich überhaupt schlecht bei diplomatischen Umwegen und Kompromissen vorstellen kann. Aber so, wie sie als Schülerin ihrer Mutter zuliebe das Kopftuch locker gebunden hat, so bindet sie es heute fest, damit sie den konservativen Eltern gegenüber einen anderen Stand hat. Den Eltern jener Töchter, denen sie zu einer Ausbildungsstelle verhelfen möchte.
Auf die Frage, wie sie zu der Debatte um weibliche Vorbeterinnen steht, antwortet sie, gegen ihre Gewohnheit, ausweichend: dass es nicht „üblich“ sei. Aber ist es wünschenswert? Halima Krausen lacht. Die Situation in der Gemeinde müsse sich noch sehr entwickeln, sagt sie dann, bis so etwas als normal empfunden würde.