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Archiv-Artikel

„Brutalstmögliche Aufklärung“?

betr.: „Folter muss tabu bleiben“, taz vom 22. 2. 03, „Gewöhnung darf es nicht geben“, „Rückendeckung für Frankfurts Polizeivize“, „Folter als Verhörmethode“ (LeserInnenbriefe), taz vom 24. 2. 03

Die im Artikel (Gewöhnung darf es nicht geben) genannten Unterschiede zwischen Folter und finalem Rettungsschuss dürften zwar zutreffend, aber nicht unbedingt entscheidend sein. Vielmehr: Wenn ein Polizist einen gegenwärtigen Angriff mittels Schusswaffengebrauch abwehrt, wird bei objektivem Vorliegen der Voraussetzungen der Nothilfe gerade das Rechtsgut einer Person verletzt, von welcher ein Angriff ausging. Die Folter ist hingegen deswegen problematisch, weil durch sie gerade „festgestellt“ werden soll, „ob“ der Gefolterte tatsächlich ein Rechtsgut verletzt hat.

Eine solche Vorgehensweise gefährdet aber primär die Rechtsgüter von Personen, von denen objektiv keine Gefahr ausgeht. Nämlich denjenigen, die „fälschlicherweise“ als Angeschuldigte ins Ermittlungsverfahren geschliddert sind. Allein schon auf Grund dieses strukturellen Unterschiedes lässt sich die Folter in einem Rechtsstaat keinesfalls rechtfertigen.

VOLKER SCHUETZ, Felsberg

Die Diskussion zeigt wie weit „wir“ schon bereit sind, unsere zivile beziehungsweise zivilisierte Gesellschaft in Frage zu stellen. Geht es denn wirklich um den Mörder des kleinen Jakob, oder geht es um „unsere“ Bereitschaft, immer selbstverständlicher irgendwelche „letzten Mittel“ zuzulassen (Folter, Krieg, politische Erpressung), um zu „unseren“ vermeintlich korrekten Zielen zu gelangen? Handelt es sich bei dem Verbot von Folter nicht um die Festlegung eines unveräußerlichen Grundrechts?

Seit wann ist es wieder rechtens, Gleiches mit Gleichem zu vergelten und sich der Mittel der Täter zu bedienen? (Vgl. H. Lippert/B. Hüsing in der taz vom 24. 3.) Haben wir, hat unser Rechtsstaat das bereits nötig? Sind derartige Verbrechen durch Folter und höhere Strafen vermeidbar? Oder haben „wir“ trotz heftiger Gegenwehr schon einen kleinen Bush im Kopf und träumen von Guantánamo? FRANK DÖRNER, Essen

Eine Erklärung für das Entstehen des chinesischen Schriftzeichens für Wahrheit ist, dass es aus der Darstellung eines mit dem Kopf nach unten aufgehängten Mannes hervorging. Aber an Roland Koch sind tausende von Jahren vorbeigegangen, in denen zumindest einige Menschen dazugelernt haben, wie man Wahrheit nicht erzwingen kann, sondern nur unter Schmerz hervorgebrachte Äußerungen darüber.

Was Leute wie Koch denken, erkennt man an den Bereichen, in denen sie mit „menschlichem Verständnis“ auf die sonst so hart verteidigten Sicherheitsabstände zum Missbrauch verzichten. Leute wie Koch sind aber unsere grauenhafte und doch selbst gewählte Zukunft. Fruchtbar noch ist der Schoß, aus dem das kroch.

GOETZ KLUGE, Tokio, Japan

Die Androhung oder gar die Anwendung von Folter darf niemals ein rechtmäßiges Mittel bei der polizeilichen Ermittlungsarbeit sein, so tragisch auch der Einzelfall sein mag, der dahintersteckt. Diese Überzeugung hat sich in den vergangenen Tagen zu Recht in der Öffentlichkeit gefestigt. Ungeachtet dessen glaubt Koch, seine (wenig hilfreiche) Meinung zu diesem Thema kundtun zu müssen. Aber diese Äußerung ist nur ein weiterer Schritt auf dem Weg der unsäglichen Taten und Worte des hessischen Ministerpräsidenten. Was fordert Koch als nächstes? Die „brutalstmögliche Aufklärung“ von Verbrechen? PETER HANSEN, Lemgo

Folter müsse tabu bleiben … Rechtsstaatliche Folter sei und bleibe ein Paradoxon, schreibt Christian Rath. Und wenn der Verfasser scharfsinnig formuliert: Herrn Mackenroth seien völlig die Maßstäbe verrutscht – so frage ich mich als Leser derart harmlosen Wortgutes, ob uns nicht prinzipiell die „Maßstäbe“ allmählich „verrutschen“. Treffend fügt der Verfasser als Hinweis an, das Folterverbot sei eine unverrückbare Grundnorm – weltweit.

Seit geraumer Zeit wundere ich mich, mit welch euphemistischem Wortschatz einige Stellungnahmen gesegnet sind – klare Stellungnahmen, die der Brisanz der Vorgänge um Herrn Mackenroth als rechtsstaatlichen Vertreter deutscher Judikative gerecht werden. Anscheinend setzt das Begreifen, worum es in der Frage der „möglichen Anwendbarkeit der Folter in gerechtfertigten Fällen“ geht, „hups“ leider einmal mehr fünf nach Zwölf ein.

Dramatisch ist, dass diese Frage wieder gestellt werden kann und salonfähig diskutabel wird. […] Nun, definieren wir die Parameter unserer Demokratie also neu? Wurde ein Gesetz zur Folter offiziell oder inoffiziell ratifiziert?

Es gibt einen Unterscheid zwischen Demokratie und Diktatur! Der Verfasser des Leserbriefes registriert ironisch bedauernd: Eine zivilisierte Gesellschaft müsse es hinnehmen, dass Probleme, die nur mit Hilfe von Folter zu lösen wären, eben nicht lösbar seien, so tragisch das auch im Einzelfall sein möge …

In einer Demokratie „nehme“ ich nicht „hin“; Mitglieder einer zivilisierten Gesellschaft bekennen! sich zu diskursivem und kommunikativem (nicht faustrechtlichem) Umgang miteinander – oder sind die bisher von mir registrierten und akklamierten rechtsstaatlich demokratischen Prinzipien nur noch dazu da, unsere persönlichen Frustrationen und Aggressionen einzudämmen.

Wenn die einzige „demokratische Arbeitsleistung“ nur noch im scheinheiligen „In-Sich-Gehen und sorgenvollen Abwägen“ einzelner, anscheinend mangelhaft mit rechtsstaatlichen Prinzipien vertrauter Amtsträger liegt, die medial zu märtyrerhaften Sympathieträgern hochstilisiert werden, weil sie sich der schweigenden Mehrheit des „Stimmviehs“ sicher wissen können?, hat sich die deutsche Demokratie für die fragwürdige Qualität ihrer Demokratie entschieden. Brauchen wir eigentlich noch unsere demokratischen Mäntelchen, wenn Herr Mackenroth im Amt bleibt? MALCAH CASTILLO, Berlin

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.