: Die Einsamkeit der Liebeslieder
Trotz seiner langen Laufbahn und seiner Zusammenarbeit mit Musikern wie Sonny Rollins und Pharoah Sanders steht Andy Bey in keinem Lexikon. Der Jazzsänger und -pianist spielt morgen Abend in der Bugenhagenkirche in Barmbek
Es könnte das bemerkenswerteste Konzert des noch jungen Jahres werden. Andy Bey ist kein „Rising Star“ auf Tournee durch einschlägige Jazzclubs, er feiert auch kein Comeback vor ausverkaufter Musikhalle. Der Abend mit dem Sänger und Pianist findet im Theatersaal der Bugenhagenkirche in Barmbek statt. Und verspricht eine Entdeckung.
Noch immer wird der 63-jährige Andy Bey in keinem Jazzlexikon erwähnt – obwohl er sein Debut 1974 beim renommierten Atlantic-Label aufnahm und als Sideman bei Max Roach, Sonny Rollins, Pharoah Sanders und vielen anderen nicht gerade in der zweiten Reihe arbeitete. Allerdings zu einer Zeit, in der bestenfalls der Jazz-Rock auf Interesse beim Publikum stieß. Andy Bey dagegen wurde mit rund vierzig Alben, auf denen er zu hören ist, zum Geheimtipp. In den 70ern gab er Horace Silvers Soul-Jazz eine Stimme, in Gary Bartz‘ NTU Troop zitierte er Coltrane und Malcom X und forderte eine spirituelle Revolution. Kommerziellen Erfolg erntete Andy Bey damit nicht.
Schließlich verhalfen ihm seine von allen Manierismen befreiten Interpretationen des American Songbook zum Comeback. 1996 konnte er nach über zwanzig Jahren sein zweites Album unter eigenem Namen aufnehmen, seitdem erscheinen seine CDs regelmäßig und mit einem Repertoire von Big Bill Broonzys „Feelin‘ Lowdown“ bis zu Nick Drakes „River Man“. Auf seinem neuesten Album Chillin‘ with Andy Bey begleitet er sich selbst am Piano. Diese reduzierte Form nutzt Bey, der seit Jahren offen mit seiner HIV-Infizierung umgeht, um die Dimension von Verlust und Einsamkeit aufzuzeigen, die selbst Liebesliedern von Gershwin bis Ellington innewohnt.
Auch der Veranstaltungsort des Konzerts ist ein Symbol für die Mehrschichtigkeit des Lebens. Mit ihrem Theatersaal und dem auch unter der Woche geöffneten Café setzt die 1929 erbaute Bugenhagenkirche ein Zeichen für die Öffnung der Kirche zu Kultur und ihrem profanen Umfeld. Schon der moderne Backsteinbau, dessen Innenräume seit 1998 wieder in ihren originalen Farbgebungen an Bauhaus und De Stijl erinnern, ist einen Besuch wert. Zumal die Kulturkirche wegen der Renovierungskosten vor der Pleite steht und unklar ist, ob der denkmalgeschützte Bau nicht schon bald verkauft werden muss.
Tobias Richtsteig
morgen, 20 Uhr, Bugenhagenkirche, Bierdermannplatz 19