: Probleme im Kopf
Nach seinem Absturz bei der Vierschanzentournee ergeht sich der ehemalige Siegspringer Sven Hannawald in Selbstmitleid. Auch Neu-Bundestrainer Wolfgang Steiert scheint ziemlich ratlos
VON KATHRIN ZEILMANN
Als Sigurd Pettersen seinen Gesamtsieg der Vierschanzentournee feierte und das norwegische Team sich über die Wiederauferstehung des Skispringens in Norwegen freute, hatte Sven Hannawald es eilig, vom Ort des Geschehens zu verschwinden. Sein Blick war verstört, seine Erklärungsversuche erklärten nichts und waren nur Ausdruck seiner Ratlosigkeit. Platz 22 in Bischofshofen war der Tiefpunkt seiner Tourneebilanz.
„Sven ist nicht hundertprozentig stark im Kopf“, musste Cheftrainer Wolfgang Steiert erkennen. Nur wenn Hannawald „einen Lauf“ habe, sei er mental gefestigt. In Zeiten sportlicher Krise aber fehlten Hannawald Lösungsansätze oder Auswege. Steiert: „Es ist manchmal schwer, an ihn heranzukommen. Vielleicht hört er einem zu, aber ob man ihn auch erreicht?“
Hannawald verkriecht sich, empfindet Mitleid mit sich selbst. Er weiß nicht, wie er es schaffen soll, besser zu springen. Als er den Sonnenschein und den leichten Aufwind an der Bischofshofener Schanze betrachtete, sinnierte er: „Das waren doch eigentlich meine Bedingungen.“ Doch gereicht hat es trotzdem nur zu mittelmäßigen Sprüngen – wie immer bei dieser Tournee, als es darauf ankam.
Während Martin Schmitt, derzeit auch nicht besser in Schuss, seine Fehler klar analysiert und eine baldige Besserung in Aussicht stellt, versenkt sich Hannawald in Grübelei und mag von Zukünftigem gar nicht sprechen. Sein System vom Trainieren, Springen, Gewinnen, Jubeln und Sonnen im Rampenlicht funktioniert nicht mehr. Bisher war seine Person eigentlich recht einfach zu begreifen: Er wollte gewinnen, um seinen Sport zu genießen. Der Mensch Hannawald, so scheint es, definiert sich einzig über den sportlichen Erfolg und den damit verbundenen Ruhm. Fehlt der Erfolg, fehlt dem Menschen Hannawald ein wesentlicher Teil.
Als er nach seinen Bischofshofener Sprüngen seine Skier schulterte und davonlief, erinnerte er an jenen Sven Hannawald im März 2001, der völlig verunsichert und ausgepumpt beim Skiflug-Weltcup in Oberstdorf auf den hinteren Rängen landete, anschließend erkrankte und lange brauchte, um wieder siegreich in den Weltcup zurückzukehren. Hannawald sagt: „Ich hatte solche Tiefs schon. Und rausgekommen bin ich doch auch wieder.“ Was nach der Krise 2001 folgte, ist bekannt: Vierschanzentourneesieg 2001/2002, Mannschaftsolympiasieg 2002, Skiflugweltmeister 2002.
Aber dieses Mal? Hannawald, 29 Jahre alt, hatte schon vor dieser Saison ab und zu von „Alterserscheinungen“ berichtet. Sein Körper verarbeite die Ansprüche des Leistungssports nicht mehr so einfach wie noch vor einigen Jahren. „Ich merke, dass es mir schwerer fällt, die körperlich Frische wieder zu kriegen.“ Im Laufe der Tournee bemerkte auch Steiert: „Wenn er merkt, dass es nicht klappt, wird der Kopf müde, man kann nachts nicht schlafen.“ Von einem baldigen Karriereende des sensiblen Stars aus Hinterzarten will zumindest der Trainer aber nichts wissen. „Sven hat noch viel vor“, so Steiert. Die WM 2005 und Olympia 2006 zum Beispiel.
Hannawald wieder heranführen an die Weltspitze – Steiert nennt dies als seine vornehmliche Aufgabe für die nächsten Wochen. Spätabends in Bischofshofen trifft den Coach die Frage, ob er – angesichts der mentalen Probleme Hannawalds – einen Psychologen heranziehen wolle. „Nö“, antwortet er. Weil: „Skispringen ist eine so komplexe Sportart. Es gibt nur ganz wenige, die sich in einen Springer hineinversetzen können.“
Beim Weltcup in Liberec an diesem Wochenende wird Sven Hannawald nicht teilnehmen. Er soll sich ausruhen und im Training wieder zu seiner Form finden, sagt Steiert, der sich gleichzeitig auch stark darum bemüht, die Ursachen für Hannawalds Schwächen nicht nur im Kopf zu suchen. „Das Training vor der Tournee war nicht immer so gut, wir hatten oft schlechte Bedingungen. Die Abstimmung des Materials ist noch nicht optimal“, sagt Steiert. Hannawald selbst sieht die Sache einfach nur so: „Ich bin total deprimiert.“ Zuversicht hört sich anders an.