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Archiv-Artikel

Bushs gefährlicher Waffenbruder

Musharraf ist für Bush „der Mann an der Front“, wenn es um den Kampf gegen Terroristen geht

AUS DELHI BERNARD IMHASLY

„Reiner Wahnsinn.“ Das war die Antwort des pakistanischen Informationsministers Scheich Ahmed Rashid, als er am Dienstag gefragt wurde, ob die Behauptungen stimmten, wonach Pakistan nicht nur Nordkorea und dem Iran, sondern auch Libyen bei der Herstellung von Atombomben geholfen habe. „Der Bericht ist absolut falsch. Nichts ist wahr.“

Der Grund für die kategorische Äußerung des impulsiven Ministers: In den letzten Wochen haben amerikanische Zeitungen westliche Geheimdienstquellen zitiert, die vermuten lassen, dass Pakistan auch Oberst Muammar al-Gaddafi geholfen hat, mit Gas-Zentrifugen-Technologie das leicht spaltbare Uran-Isotop 235 herzustellen. Scheich Rashid war der Kragen geplatzt, als nun auch die einheimische Presse immer drängender fragte, ob die Regierung, die an vorderster Front gegen die Terroristen von al-Qaida zu kämpfen vorgibt, hinterrücks so genannten „Unrechtsstaaten“ hilft, ihre eigene Atombombe herzustellen.

Rashids Reaktion war allerdings nicht typisch. Die Anfang der Woche in New York Times und Washington Post zitierten Informationen waren nämlich so detailliert, dass Pakistans Regierung zum ersten Mal von ihren üblichen Pauschaldementis abgerückt war und durch den Sprecher des Außenministeriums erklären ließ, sie werde den Behauptungen nachgehen. Noch wichtiger war das Bekenntnis, dass die beiden Direktoren der nationalen Atomwaffenschmiede, der „Kahuta Research Laboratories“, für kurze Zeit in Haft genommen und verhört worden seien. Falls es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei, bedauere man dies – die Regierung von Präsident Pervez Musharraf habe damit aber nichts zu tun.

Es war eine Sprachregelung, die offensichtlich mit Washington abgestimmt worden war. Denn bereits die Zeitungsinformanten hatten darauf hingewiesen, es gebe keine Beweise, wonach die pakistanische Regierung davon gewusst habe.

Auch Außenminister Colin Powell bemühte sich, Militärmachthaber Musharraf aus der Schusslinie zu nehmen. Er habe von solchen Aktivitäten gehört, sagte er zu Wochenbeginn, aber er sei sicher, dass der Präsident „dabei ist, gegen solche wildernde Elemente hart vorzugehen“. Gemeint sind mit diesen rogue elements pakistanische Wissenschaftler, die aus Geldgier den internationalen Schwarzmarkt beliefert haben sollen. Und Scott McClellan, der Sprecher des Weißen Hauses, meinte beschwichtigend, es sei immer „schwierig, Aktivitäten solcher Wilderer unter Kontrolle zu halten, deren Motiv persönlicher Gewinn ist“.

Der Grund für diese Verteidigungsstrategie ist klar: Präsident Musharraf ist, in den Worten seines Amtskollegen George W. Bush, „der Mann an der Front [the stand-up guy], wenn es um die Erledigung der Terroristen geht“. Die Glaubwürdigkeit des Antiterrorkampfs nähme enormen Schaden, wenn dessen Strategen in Washington zugeben müssten, dass die Schlüsselfigur in diesem Kampf gewusst und geduldet hat, dass Mitglieder seiner eigenen Behörde dem international geächteten Ghaddafi-Regime geholfen haben, Atomwaffen zu beschaffen – und dies nach dem 11. September und nachdem Musharraf den USA kurz darauf versprochen hatte, keinerlei nukleartechnischen Exporte zu dulden.

Dennoch bestehen kaum Zweifel, dass die Dementis und Vertrauensschwüre für Musharraf aus Washington nur die eine Seite der amerikanischen Strategie darstellen. Die Berichte von New York Times und Washington Post mit ihren zahlreichen Detailangaben waren, so meinen pakistanische Kommentatoren, nichts als gezielte Indiskretionen seitens der amerikanischen Administration. Sie erlauben es den USA, einerseits an einem Alliierten festzuhalten, dessen politisches – und physisches – Überleben für ihren Krieg gegen al-Qaida unabdingbar ist. Gleichzeitig schieben sie über die Medien die bittere Wahrheit nach, die da lautet: Wir wissen, was für Spiele ihr treibt, und wir sind bereit, euch vor der Weltöffentlichkeit bloßzustellen, selbst wenn wir euch dann wieder offiziell in Schutz zu nehmen gezwungen sind.

Es ist ein Doppelspiel, das Washington mit Islamabad seit Jahrzehnten treibt – zum letzten Mal vor einem Jahr, als Washington Geheimdienstinformationen an die Medien darüber durchsickern ließ, dass Nordkorea Pakistan bei dessen Raketenproduktion behilflich war, im Gegenzug zur Hilfe Islamabads für den Neustart eines geheimen Produktionsprogramms für waffenfähiges Uran. Die jüngsten Informationslecks im Fall Irans und Libyens beweisen lediglich, dass das Weiße Haus immer noch nicht weiß, wie es das Dilemma lösen will, das es in diesem brandgefährlichen – und unersetzlichen – Allianzpartner hat. Der Diebstahl der Blaupausen durch Abdul Kader Khan aus der Versuchsanstalt Urenco im holländischen Almelo im Jahr 1976 war bereits kurz danach bekannt geworden, als die holländischen Behörden einen Haftbefehl gegen Khan erließen (siehe Kasten). Dasselbe gilt für die zahlreichen Käufe von Materialien in den USA, Deutschland, der Schweiz und Italien, die direkt danach einsetzten und die für die Konstruktion der Gas-Zentrifugen nötig waren. Doch drei Jahre nach dem Diebstahl begann die sowjetische Besetzung Afghanistans. Der Stellvertreterkrieg, den die USA als Reaktion darauf entwarfen, machte Pakistan zum Aufmarschgebiet und den pakistanischen Militärdiktator Zia al-Haq ebenso unersetzlich wie heute seinen Nachfolger Pervez Musharraf.

Es dauerte bis zum Rückzug der sowjetischen Truppen 1989 und dem Fall des moskauhörigen Regimes in Kabul 1992, dass Pakistan seine strategische Rolle wieder einbüßte. Washington sah nichts Besonderes darin, seinen Freund mithilfe des „Pressler-Amendment“ – dem als willkürlich empfundenen Verhängen von Waffenembargos – plötzlich mit Wirtschaftssanktionen einzudecken, wegen des illegalen Einkaufs von „nuklear sensibler Technologie“. Doch es war zu spät. Der geniale Metallurgie-Ingenieur Khan hatte, angetrieben von islamischem und nationalem Eifer, inzwischen seine Technologie zur Anreicherung von waffenfähigem Material so weit verfeinert, dass er dem Iran technische Entwicklungshilfe anbieten konnte. Und als Indien im Mai 1998 Atomwaffen zündete, brauchte Pakistan weniger als zwei Wochen, um mit mehreren unterirdischen Tests ebenfalls seine nukleare Reifeprüfung abzulegen.

Dass die pakistanischen Ingenieure aus persönlicher Gier handelten, ist schwer zu glauben. Abdul Kader Khan und seine Mitarbeiter folgten in den Siebzigerjahren dem Ruf des damaligen Premierministers Zulfikar Bhutto, der unbedingt eine pakistanische Atombombe entwickeln wollte – „auch wenn wir dafür Gras essen müssen“. Kurz zuvor, 1974, hatte Indien eine erste „friedliche“ Atomsprengung durchgeführt.

Bhutto teilte, ebenso wie alle Regierungen nach ihm, die Auffassung Khans, dass der Nukleare Non-Proliferations-Vertrag – dem Pakistan ebenso wenig wie Indien beigetreten ist – die Großmächte mit ihrer atomaren Allmacht walten lässt, während es die nuklearen Habenichtse diskriminiert. Dass die USA und andere Großmächte darüber hinaus nichts gegen Israel und dessen geheimes Atomwaffenprogramm unternahmen, gab diesem Regime ein zusätzliches antiislamisches Element. Und Khan bot sie das moralische Alibi zur Entwicklung der Bombe, das schwerer wog als jeder Schmuggel und Deal auf dem internationalen Schwarzmarkt.

In jedem Land mit einem Atomwaffenprogramm ist dessen Entwicklung und Kontrolle den demokratischen Kontrollinstanzen weitgehend entzogen und wird als militärische Geheimsache behandelt. Dies gilt besonders für Pakistan, das keine Tradition demokratischer Staatsführung hat. Selbst in den Jahren, als gewählte Politiker die Regierung in Islamabad stellten, gab die Armee die Kontrolle über nationale strategische Bereiche nie an die zivile Führung ab. Der Krieg der Mudschaheddin ebenso wie die Guerillakrieg in Kaschmir wurden vom militärischen Geheimdienst ISI kontrolliert, über den die Regierung keine Autorität hat.

Als Premierminister Nawaz Sharif im Februar 1999 seinen indischen Amtskollegen A.B.Vajpayee in Lahore empfing und mit ihm ein neues Kapitel in den gegenseitigen Beziehungen beginnen wollte, wusste er nichts davon, dass pakistanische Spezialeinheiten bereits dabei waren, die Waffenstillstandslinie in den Kargil-Bergen zu überschreiten und strategische Stellungen zu besetzen – koordiniert vom damaligen Armeechef General Pervez Musharraf. Sharif erfuhr erst davon, als die indische Artillerie reagierte und sich für Pakistan ein militärischer und diplomatischer Schlamassel abzuzeichnen begann. Als er Musharraf daraufhin absetzen wollte, kam ihm dieser mit seinem Staatsstreich im Oktober 1999 zuvor.