: „Näher an den USA“
Die Politologin Ronja Kempin zur Position Frankreichs
taz: Den letzten deutsch-französischen Plan für den Irak hat der Spiegel öffentlich gemacht – und der Plan war schon tot, als das Magazin noch am Kiosk lag. Wird der neuen Initiative von Gerhard Schröder und Jacques Chirac ein längeres Leben beschieden sein?
Ronja Kempin: Dafür spricht zumindest, dass sie nicht im Spiegel vorgestellt wurde, sondern im UNO-Sicherheitsrat. Andererseits feiert sich Präsident Chirac derzeit als Erben von General De Gaulle. Dazu gehört, dass sich Frankreich in Europa als Militärmacht sieht – wie Großbritannien und anders als die Bundesrepublik. Wenn es am Ende zu einem Krieg kommt, werden die Franzosen nicht abseits stehen.
Dann ist der Eindruck falsch, Schröder und Chirac stellten sich gegen die USA?
In der Tat, so eindeutig ist die Lage nicht. Die Franzosen haben Gewalt als letztes Mittel im Irak nie ausgeschlossen – und sich also im Unterschied zu den Deutschen alle Möglichkeiten offen gehalten. Paris befindet sich damit näher an der amerikanisch-britischen Position, als es in Deutschland gelegentlich wahrgenommen wird. Auch die jüngste Initiative ist eher eine Fortsetzung der französischen Linie als der deutschen.
Aber die Initiative ist als Gegenentwurf zu einer neuen UN-Resolution konzipiert, wie sie Bush und Blair planen.
Ja, im Unterschied zu den USA will Paris den Inspektoren mehr Zeit für ihre Waffenkontrollen geben. Aber die Gewaltandrohung ist im deutsch-französischen Memorandum vom Montag ausdrücklich vorgesehen, wenn auch nur als letztes Mittel. Insofern ist Gerhard Schröder auf die Position von Jacques Chirac eingeschwenkt. Er versucht offenbar aus der Isolation zu kommen, in die er mit seinem Nein von Goslar geraten ist.
Und die Drohung ist ernst gemeint?
Von Chiracs Seite auf jeden Fall. Als Vetomacht im Sicherheitsrat ist sich Frankreich natürlich der Gefahr bewusst, dass das Gremium bedeutungslos werden könnte. US-Außenminister Colin Powell droht ja offen: wenn die UNO ein Mandat für einen Irakkrieg verweigert, werden die USA trotzdem losschlagen – und der Sicherheitsrat wäre zunächst einmal als Ordnungsinstrument diskreditiert.
Bush und Blair haben ihre UN-Resolution bewusst vage formuliert. Wollen sie damit Chirac auf ihre Seite ziehen?
Wenn so das Kalkül aussah, ist es nicht aufgegangen, denn Paris lehnt die Resolution ab. Man kriegt die Franzosen eher ins Boot über klare Versprechungen zur Nachkriegsordnung im Irak. Amerikaner und Briten müssten also den Franzosen ihre Anwartschaft auf zwei riesige Ölfelder im Westen des Irak garantieren.
Schröder scheint in der deutsch-französischen Kriegsdrohung nur eine Floskel zu sehen. Täuscht er sich in seinem Gefährten Jacques Chirac?
Chirac ist eigentlich nicht misszuverstehen: Er sagt von Anfang an: Krieg ist das schlechteste aller Mittel. Damit ist zugleich klar: Krieg kann ein Mittel sein. Aber vielleicht hat die Bundesregierung tatsächlich noch nicht verstanden, dass Paris die deutsch-französische Achse in letzter Konsequenz brechen lassen würde. INTERVIEW: PATRIK SCHWARZ