: Der Atomspion aus Überzeugung
Mordechai Vanunu, der das Geheimnis um Israels Atomwaffenprogramm lüftete, soll bald freigelassen werden
Mit in die Innenfläche seiner Hand gekritzelten Worten lüftete Mordechai Vanunu das vorerst letzte Geheimnis – von Ort und Zeit seiner Entführung durch den Geheimdienst Mossad. Die Bilder seiner an die Fensterscheibe gepressten Hand gehören wohl zu den eindrücklichsten des vergangenen Jahrhunderts. Der Atomspion geriet 1986 in die Falle, wurde kurz darauf wegen Landesverrat zu 18 Jahren Einzelhaft verurteilt und soll nach Berichten dieser Woche nach voller Abbüßung seiner Strafe im Frühjahr aus der Haft entlassen werden.
Mit Begnadigung konnte der Mann, der das Geheimnis um Israels Atomprogramm enthüllte, nicht rechnen. Schon deshalb nicht, weil der „Überzeugungstäter“ sich selbst treu blieb. In einem Berufungsverfahren vor sechs Jahren erklärte er, dass er alles wieder so machen würde wie damals und dass er nichts bereue. Immerhin hatte er zu dieser Zeit bereits zwölf Jahre allein in einer zwei mal drei Meter großen Betonzelle verbracht.
„Die passive Hinnahme und Gleichgültigkeit angesichts der Existenz von Atomwaffen, egal wo auf Erden, ist heute eine Krankheit der Gesellschaft“, schrieb er. Seine Haltung widerlegte diejenigen, die ihn einen „Angeber“ schimpften, der sein Wissen an die britische Sunday Times nur verkaufte, weil er sich wichtig machen wollte.
Die soziale Diskriminierung Vanunus, der 1963 als Neunjähriger aus Marokko nach Israel einwanderte, soll, so schreibt Yeol Cohen in der „Vanunu-Affäre“, eine zentrale Erfahrung für ihn gewesen sein. Nach der Militärzeit studierte er zunächst Physik, bis er 1976 als Atomtechniker in der Forschungsanlage in Dimona angestellt wurde. Er habe sich infolge des Libanonkrieges 1982 und der Menschenrechtsverletzungen in den Palästinensergebieten immer weiter nach links orientiert. Parallel zu seiner Arbeit in Dimona studierte er Philosophie und setzte sich schon damals für einen Palästinenserstaat ein.
Anfang 1986 reiste er nach Australien, wo er zum Katholizismus konvertierte und sich als John Crossmann taufen ließ. In Sydney lernte Vanunu den britischen Reporter Peter Hounam kennen, der ihn später nach London lotste. Mit Vanunus Informationen bestätigte sich, was US-Experten lange vermutet hatten. 100 bis 200 Kernwaffen unterschiedlicher Zerstörungskraft wurden in Dimona produziert. Damit gehörte Israel zu den führenden Atommächten.
Monatelang hatte Vanunu heimlich Material gesammelt und Fotos gemacht. Fünf Tage bevor der Artikel erschien, war Vanunu verschwunden. Den Verlockungen der blonden „Cindy“, einer Agentin des Mossad, nachgebend, war er nach Rom gereist, wo Israels Sicherheitsleute ihn erwarteten.
Erst gut einen Monat später gab die Regierung in Jerusalem Vanunus Verhaftung bekannt. Sein Prozess fand unter striktem Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Vanunu musste einen Motorradhelm tragen, als er zum Gericht geführt wurde, um nicht fotografiert werden zu können. Die in seine Hand gekritzelte Nachricht an die Presse hielt er an die Scheibe des Polizeiwagens, der ihn vom Gericht zurück in den Hochsicherheitstrakt brachte. SUSANNE KNAUL