: Der Fortschritt heißt Müntefering
Der SPD-Fraktionschef will die Innovationsoffensive nicht dem Kanzleramt überlassen. Die Bundestagsfraktion formuliert auf ihrer Klausurtagung Ansprüche, kommt aber bei der inhaltlichen Umsetzung der „Weimarer Leitlinien“ nicht so recht voran
AUS LEIPZIG JENS KÖNIG
Die sächsische 10-Prozent-SPD hat wieder mal eine Krisensitzung hinter sich gebracht. Am Donnerstag hat sie das Verfahren, mit dem sie ihren Spitzenkandidaten für die Landtagswahl im September küren wollte, kurzerhand wieder gekippt. Jetzt gibt es keine Urwahl – stattdessen wurde Fraktionschef Thomas Jurk zum Herausforderer von CDU-Ministerpräsident Georg Milbradt gekürt. Die umstrittene Landeschefin Constanze Krehl, die sich mit Jurk seit Wochen einen sinnlosen Kleinkrieg liefert, ist weiter demontiert worden. Beste Aussichten für die sächsischen Genossen also, ihr wirklich großartiges Ergebnis von 1999 (10,7 Prozent) in 9 Monaten zu wiederholen.
Diese kleine sächsische Katastrophengeschichte spielte bei der zweitägigen Klausurtagung der SPD-Bundestagsfraktion naturgemäß keine Rolle, obwohl Franz Müntefering und seine Genossen in Leipzig tagten. „Ja, da war irgendwas“, sagte Müntefering nur, als er auf Jurk und Krehl angesprochen wurde. Dabei beweisen Sachsens Sozialdemokraten doch nur, dass es auch noch eine SPD jenseits von Innovation und Elite-Unis gibt.
Der Rest der Partei jedoch ist voll und ganz vom neuen Zukunftsthema gefangen. Der Bundestagsfraktion kommt dabei die schwierige Aufgabe zu, die strategisch gemeinten, aber luftig daherkommenden „Weimarer Leitlinien Innovation“ der Parteiführung in konkrete Projekte und finanzierbare Gesetzesvorhaben zu verwandeln. Damit ist die Fraktion in Leipzig noch nicht vorangekommen.
Bei dem Stress der vergangenen Monaten sei das aber auch nicht zu erwarten gewesen, heißt es entschuldigend in der Fraktionsspitze. Die Fraktion hat zunächst zwei „Projektbereiche Innovation“ eingerichtet. Zwischenergebnisse soll es bis März geben, das Gesamtkonzept bis spätestens Mai präsentiert werden. Den Maßstab hat die Fraktionführung völlig unironisch formuliert: „Der Fortschritt ist konkret, und der Fortschritt ist eine sozialdemokratische Sache.“
Und der sozialdemokratische Fortschritt ist vor allem eine Sache von Franz Müntefering. Das ist nämlich die Subbotschaft der zwei Arbeitsgruppen: Anders als bei der Agenda 2010 sollen nicht das Kanzleramt und die Parteispitze die Vorgaben machen, die die Abgeordneten dann nur noch abzunicken haben. Müntefering ist fest entschlossen, die Umsetzung der Innovationsvorschläge in die Hände seiner Fraktion zu legen. Er will daraus jedoch „keinen gesetzestechnischen Prozess“ machen. „Wir müssen die öffentliche Debatte führen“, sagt Müntefering.
Einen inhaltlichen Beschluss haben die Abgeordneten in Leipzig nicht gefasst. Einige störten sich daran. Die Bildungspolitiker der Fraktion um den Forschungspolitiker Sprecher Jörg Tauss hatten ein eigenes Papier zur Bildungs- und Forschungspolitik mitgebracht und hätten das gern als Konkretisierung der „Weimarer Leitlinien“ verabschiedet. Müntefering jedoch wollte kein Konkurrenzpapier. Die Bildungspolitiker loben insgesamt die Innovationsoffensive, kritisieren aber deren öffentliche Fokussierung auf Elite-Unis. Sie fordern mehr Anstrengungen in der Breitenbildung. „Eine einseitige Fixierung auf Elitenbildung entspricht nicht unseren Vorstellungen von Innovation und Gerechtigkeit“, schreiben sie.
Den meisten Abgeordneten schwant aber, dass die engen finanziellen Spielräume des Bundes und der Länder die Innovationsdebatte bestimmen werden. Müntefering hat den Umfang der Mehrausgaben des Staats für Bildung und Forschung bis 2010 auf 5 bis 10 Milliarden Euro beziffert. Das beflügelt die Fantasie. Die einen wollen wieder mal an die Goldreserven der Bundesbank ran, die anderen reden erneut von der Vermögenssteuer. Die „Netzwerker“ hoffen auf eine Neuauflage der Studiengebühren-Debatte, einige reden von Einsparungen im Verteidigungshaushalt. „Die Fraktion hat Lust, jetzt konkret zu werden“, sagte Müntefering nach der Klausur. Na dann.