piwik no script img

Archiv-Artikel

Bunter Hund Hamlet

Harald Schmidt hüpft im „Prinz von Dänemark“-Musical in Stuttgart in Polonius-Strumpfhosen über die Bühne

Hamlets Seins-Monolog kann man auch singen, zum Beispiel zur Melodie von „With or without you“ von U2

Ein kleines Hündchen hat er dann doch nicht eingesetzt. Schließlich ist Harald Schmidt selbst ein bunter Hund und Medienprofi genug, um zu wissen, dass man sich zum Start der Zweitkarriere als Staatsschauspieler solche Konkurrenz nicht leisten kann. Letzte Saison bescherte er dem Stuttgarter Staatsschauspiel mit „Elvis lebt. Und Schmidt kann es beweisen“ bereits einen Kassenschlager. Jetzt folgt unter dem Titel „Der Prinz von Dänemark“ sein ganz eigener Beitrag zum Spielzeitmotto „Generation Hamlet“. Schmidt wäre nicht Schmidt, hätte er die Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen und dem Regietheater nicht gleich ein nettes „Hamlet“-Musical aufs Auge gedrückt, das allein schon wegen seiner Nettigkeit unangreifbar ist. Zusammengestellt hat er die Text- und Songrevue gemeinsam mit dem Ensemble des Staatstheaters. Man hat geschickt gekürzt. Regie führte Christian Brey.

Hamlet also, und dann auch noch als Musical im elisabethanischen Kostüm und als Splatter-Happening mit einem Benjamin Grüter in der Hauptrolle, der wie ein dunkler Kitschritter der Kokosnuss über die Bühne schleicht und derart schmalzig ins Publikum glubscht, das alle Stuttgarter Schwiegermütter weich werden. Okay, da ist Harald Schmidt, den man an diesem Abend viel lieber als Ophelia (gespielt von Lilly Marie Tschörtner) gesehen hätte, der sich dann allerdings doch geschickt gleich drei Rollen sichert: In der Polonius-Strumpfhose zeigt er stramme Waden, wenn er nicht gerade als Geist unter der pudergetränkten Perücke des gemeuchelten Hamlet-Papa schwitzt oder als Bote einen Brief des melancholischen Dänenprinzen vorbeibringt. Es versteht sich von selbst, dass er trotz des schauspielerischem Multitaskings noch Zeit findet, mal kurz ins Publikum zu blinzeln, flugs den Reich-Ranicki zu parodieren und empört zu fragen, ob er denn die Heidenreich sei. Alles in allem ist Schmidt aber nicht die Rampensau, die er in „Elvis“ war.

Er macht die Bühne frei, was er seit Pocher ja ziemlich gut kann. Für Schmidt spricht, dass er seit einiger Zeit von einem dezenten Hauch „Elder Statesman“ umweht wird. In Stuttgart ist der schwäbische Harald allerdings nicht nur deshalb ein verkappter Hamburger Helmut, weil man als Geist sowieso die Lage der Nation überblickt und alle Nase lang zum Interview gebeten wird. Schmidt legt auch eine nett-kokette Zurückhaltung an den Tag, die dafür sorgt, dass einer wie Benjamin Grüter sich in den Vordergrund spielen und ein seltsam zarter Todesengel sein kann, der zuerst einmal von diesem „Girl“ singt, das schon die Beatles im Auge hatten.

Das „Girl“, das der Stuttgarter Hamlet besingt, ist natürlich Ophelia. Wir wissen, dass das mit dem Dänenprinzen und der Poloniustochter in diesem Leben nichts mehr wird. Was wir bisher nicht wussten: Hamlets Seins-Monolog kann man auch singen und Grüter macht das zur Melodie von „With or without you“ von U2. Aus „See the stone set in your eyes“ wird „Ob’s edler im Gemüt“. Der Seins-Monolog ist ein Highlight der abendländischen Kulturgeschichte, es geht also schon in Ordnung, dass das Stuttgarter Gothic-Musical sich nur an dieser Stelle eine Shakespeare-Vertonung leistet, ansonsten aber auf die extraordinären stimmlichen Qualitäten des Stuttgarter Schauspiel-Ensembles setzt und wild sampelt.

Der üble Brudermörder und Schwägerinnenbesteiger Claudius führt sich tatsächlich mit „Sympathy for the Devil“ ein. Und Lilly Marie Tschörtner untermalt Ophelias Wahnsinn mit Tina Turners „Nutbush City Limits“ und einschlägigen Nina-Hagen-Kieksern. Doch zu welchem Song schnäbeln Marietta Meguid und Martin Leutgeb als Gertrud und Claudius so herzallerliebst? Das sind tatsächlich Pamina und Papageno, die als Weib und Mann an die Gottheit reichen wollten.

Dass Schmidt & Co. von Mozart bis Rammstein alles mixen, was thematisch passen könnte, gehört zum methodischen Wahnsinn eines radikal gekürzten Best-of-Hamlet, mit dem ein Artist formerly known as Harald unter Mithilfe eines tollen Stuttgarter Ensembles einmal mehr zeigt, was für eine Wundertüte das Stadttheater sein kann. Das ist ja schon mal was. Was aber kommt als Nächstes? Der „Faust“ etwa, und dann doch mit einem Pudel auf der Bühne? JÜRGEN BERGER