: Fremde Pflanzen
BDI-Preisträger deuten in der Schau „ars viva - Landschaft“ im Kunstverein Außen- und Innenräume
Nahe Ferne – ferne Nähe: Ein Titel, der nicht nur auf die Ende 2002 im Kunsthaus gezeigte Schau zutraf, sondern auch auf die aktuelle im Kunstverein: Nähert man sich nämlich der seltenen Orchidee Henrik Hakanssons, realitätskompatibel auf einen Ast gepflanzt und mit Pumpzerstäuber garniert, ereilt einen Erstickungshusten; man bleibt also fern. Von den Urwald-Postern wiederum, die im Hunderter-Stapel am Boden liegen, darf man sich sogar eins mitnehmen. Und nebenan hocken igelige Pflänzchen auf improvisierten Telegraphendrähten. „Sie ernähren sich ausschließlich von der Luft“, sagt Hakansson, einer der drei alljährlich vom Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI prämierten Künstler, die die Ausstellung ars viva – „Landschaft“ bestückt haben.
„The thin line between love and hate“ heißt diese Installation, die wirkt wie aus dem Poesiealbum eines Gottes abgeschrieben; Kalligraphien, in die Landschaft getupft, die etwas über deren Historie verraten: Denn nur dort, wo zuvor Vögel lagerten, nisten die Pflanzen. Naturbeobachtung – zur Not mit Spionagekameras wie 2000 in Helsinki – ist einer der Arbeitsschwerpunkte des schwedischen Künstlers, der in der aktuellen Ausstellung musealen Raum verfremdet und Museum zum Zoo dessen erhebt, was bald ausgestorben sein könnte.
Auch der im Schwarzwald geborene Daniel Roth hat sich der Ausforschung der Natur verschrieben, quasi-literarischen Eingriffen gar, die als Plot allerdings nur mäßig überzeugen: In der Pension Hohl hat der Künstler den Effekt der Landschaftsverschiebung – der Gardasee verschwindet bei Sonnenuntergang ganz – erlebt und aus dieser Erfahrung eine Story gemacht: Auf Fotos und Zeichnungen dokumentiert er den quasi-verschwörerischen Werdegang der Geschichte. Er suggeriert, dass dieser Effekt vom im Nachbargrundstück ausgestellten Kriegsschiff aus gesteuert wird, zeichnet auch gleich den unterirdischen Gang dazu... Eine Mixtur aus Fotos und Zeichnungen, aus absurder Geschichte und halb-plausiblen Gedankenwindungen vermittelt der Künstler, dessen Werke zunächst Zusammenhangloses präsentieren, das sich allerdings nur nach wortreicher Erklärung erschließt.
Auch Amelie von Wulffen geht oft autobiographisch vor, hat gezeichnete Porträts ihrer Großmutter mit Wohnzimmer-Ambiente vermischt. Einen von ihr animierten Film kann man dort schauen, Fotos von Schauspielerinnen mit Krücken betrachten – Resultat der Beschäftigung mit dem eigenen Hüftproblem, wie die Künstlerin sagt.
Am überzeugendsten aber kommt das Archiv von Corinne Wasmuht daher, das – dito – zunächst Disparates verbindet: In 3000 thematisch sortierten Aktenordnern hat sie Zeitschriften-Fotos gelagert, die zunächst Inspiration für Gemälde sein sollten, sich aber im Lauf der Zeit verselbständigten. Nach und nach hat sie die Bilder aufgeklebt und nach eigenen Kriterien geordnet: Im Ordner „rund“ finden sich Gegenstände, die allein dieses Kriterium erfüllen, anderswo sind rote Dinge oder Haare zusammengestellt. „Ich möchte Sehgewohnheiten aufbrechen, und zwar völlig wertfrei“, sagt die in Argentinien aufgewachsene Künstlerin. „Und ich möchte Zweifel an der eigenen Blicksicherheit säen“ – wie auf der Panzer-Collage: Ein aufblasbarer Panzer, ein Kriegsfoto und ein gestelltes Bundeswehr-Foto prangen da nebeneinander. Und wenn man es nicht wüsste, man könnte nicht sagen, welches Bild gestellt ist und welches „echt“.
PETRA SCHELLEN
Di–So 11–18, Do bis 21 Uhr, Kunstverein; bis 20.4.