: Aschenputtel sortiert bald nicht mehr
Krösus gesucht: Das Haus Schwarzenberg wird verkauft. Einer der letzten Orte, der bewahrt, was an Mitte einmal aufregend war, wird verschwinden
von JENNI ZYLKA
Am Anfang, der gleichzeitig auch ein Ende war, kurz nach Mauerfall, kamen sie alle: KünstlerInnen und GaleristInnen, Ausgehfreudige und InstandbesetzerInnen – alle scharten sich um den Hackeschen Markt, renovierten, bemalten und bespielten ihn und verwandelten ihn so in eine Touristenfalle erster Kajüte.
Zur echten Touristenfalle, die so viel Geld verschlingt, dass man schnell eine Bankfiliale mit genügend voll gefüllten Geldautomaten in die Rosenthaler Straße setzen musste, wurde die Gegend aber erst später. Erst als die Hackeschen Höfe schnieke verputzt, auf Hochglanz getrimmt und begrünt und mit teuren Chichi-Clubs, Restaurants und Designermodeläden vollgestopft worden waren, erst als München Einzug am Hackeschen Markt hielt.
Das Einzige, was daran erinnert, wie es einmal war, ist der Schwarzenberg e. V.: das Haus an der Rosenthaler Straße 39, direkt neben dem Touri-Auflauf, das Aschenputtel der schönen, stolzen Hackeschen Höfe. 1995 von ein paar Kulturschaffenden gegründet, versucht der Verein Schwarzenberg seitdem, all das zu bewahren, was an Mitte prima und aufregend war. Mit Museen und Galerien, Ateliers, Clubs, einem Kino und historischen Stätten wie der Blindenwerkstatt Otto Weidts – im Seitenflügel arbeiteten während der Nazizeit blinde und gehörlose Juden, beschützt von ihrem Chef, der dort einige Menschen vor dem Regime versteckte und sogar aus dem Deportationslager zurückholte – und dem Anne-Frank-Zentrum.
Und nun das. Jetzt will die Erbengemeinschaft, die das Haus seit den Nachwendezeiten besitzt, das Grundstück versteigern. Am 24. April soll es unter den Hammer kommen. Und wenn der Hauptmieter, der Verein Schwarzenberg, bis dahin nicht ein paar Millionen Euro unter einer Matratze findet und das Grundstück selbst erwirbt, hat es sich ausgewohnt, ausgearbeitet und ausgelebt in der Rosenthaler 39.
Was mit den Gebäuden passiert, wenn ausreichend begüterte Investoren, Spekulanten und Geschäftsleute ihre Interessen verteidigen: Genau wie rechts und links vom Haus Schwarzenberg würden sämtliche gewachsene Strukturen erneuert, die Gebäude elegant saniert und die Mieten in die Höhen torpediert, in denen sich amerikanische Stehcaféketten, Spezialitätengeschäfte und Türsteherclubs für reiche Töchter Wangenküsschen geben.
„Das kann man sich ja denken, was dann passiert“, meint auch Henryk Weiffenbach düster. Er ist der Hauptverantwortliche für die künstlerische Leitung des Hauses, war Mitbegründer des Vereins, des Clubs „Eschloraque, rümpschrümp“, organisiert die Galerie Neurotitan und ist nebenbei noch Mitgründer und Fotograf der Dead Chickens, die seit den 80ern Monsterskulpturen und Performances basteln (ein paar ihrer beweglichen Monster klappern auf dem Schwarzenberg-Hof), und auch das „Eschloraque“ ausgestattet haben. Der Verein sorgt seit sieben Jahren dafür, dass das Haus ohne Subventionen funktioniert, dass KünstlerInnen arbeiten, ausstellen und aufführen können, dass ein Non-Mainstream-Kino wie das „Central“ dort Filmschätzchen anbieten kann und die Cocktails im „Eschloraque“ immer noch weit unter dem Mitte-Durchschnitt liegen.
Um die 3,3 Millionen Euro ist das Ganze wert. Versteigert werden soll es mit einem Anfangswert von der Hälfte – das kann sich der Verein nicht leisten. Er hat das leer stehende Gebäude seit 1995 kostendeckend bewirtschaftet.
Aber ein Krösus ist keiner der Mieter und Nutzer dabei geworden. „Wenn wir so viele Spenden hätten, dass die Finanzierung klar wäre“, sagt Thomas Heppener vom Anne-Frank-Zentrum, „dann könnten wir das Haus so weiterführen wie bisher.“ Keiner macht hier Geschäfte, stattdessen werden Kultur, Erinnerung und Unterhaltung produziert. Das gefällt sogar der Bezirksverordnetenversammlung Mitte: In einem Dringlichkeitsantrag von Dienstag regen die Bezirksverordneten aller Parteien einstimmig an, „sich für den Erhalt des Gewerbe- und Kulturstandortes Grundstück Rosenthaler Str. 39 in der Öffentlichkeit einzusetzen“.
„Die lieben uns anscheinend“, sagt Weiffenbach, „aber erst mal nützt das leider noch nichts.“ Darum hat der Verein eine „Aktion Territorium jetzt!“ ins Leben gerufen, will ab dem 20. April ein paar Wochen lang mit täglichen Konzerten, Veranstaltungen und Partys auf die Situation aufmerksam machen. Online kann man sich informieren, spenden und Vorschläge zur Rettung des bedrohten Lebensraums loswerden – der Verein hofft auf die Solidarität der vielen BesucherInnen und GenießerInnen.
Henryk Weiffenbach kann sich momentan noch nicht vorstellen, dass das alles wirklich vorbei sein könnte. Keine Nächte mehr mit „Medienmanipulationen“ im „Sniper“, keine DJs und Lesungen mehr im „Eschloraque“, keine junge Japankunst mehr im „Murata & Friends“, keine Filme mehr im „Central“, keine Medienbüros mehr, und wo zur Hölle soll Laura Kikauka, die kanadische „Funny Farm“-Betreiberin, ihre Milliarden funkelnden, britzelnden und leuchtenden Dinge ordnen?
Weil das Schwarzenberg so reibungslos funktionierte all die Jahre, ein Anziehungspunkt sowohl für neugierige Touristen war, die endlich mal einen nicht genormten Teil von Mitte erspähen wollten, als auch für die vielen FreundInnen von eigenwilliger Kultur, darum wird man erst jetzt darauf aufmerksam gemacht, dass eventuell bald etwas Wichtiges fehlt. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät. Egal was je an die Stelle der kreativen Hochburg Schwarzenberg treten könnte – es wird dem Haus das Gesicht nehmen.