: Grenzpfähle im Alpenpanorama
Am Ende des Booms: Nachdenken statt protzen. Auch in München stehen Gewerbeflächen leer. Trotzdem setzt die Stadt auf die Eleganz der Höhe und verbaut ihre Perspektiven. Nur Autofahrer mit Tempo 60 genießen die gläsernen Wegmarken
VON IRA MAZZONI
Alle vier Tage ein Stockwerk: Münchens neues Entrée wächst bis zum Sommer auf 126 Meter Höhe. Das Zwei-Scheiben-Hochhaus des Chicagoer Architekturteams Murphy/Jahn stellt zusammen mit dem gerade fertig gestellten Ensemble des Münchner Büros Allmann, Sattler, Wappner die monumentale Weiche für den Verkehrsstrom, der sich von der Nürnberger Autobahn auf den Mittleren Ring ergießt. „Highlight“ nennt sich das Prestigeprojekt neuerdings, das nach dem Willen der Stadtplaner ein unmissverständliches „Zeichen von Modernität“ setzen soll.
Dabei wächst der weiße Riese der alten Stadt bereits jetzt über den Kopf. Schaut man vom Odeonsplatz die Ludwigstraße hinunter in Richtung Siegestor, so kreisen die Baukräne unmittelbar über der Löwen-Quadriga. Das werbende Lichtband der Baukrone macht dem Triumphbogen als point de vue Konkurrenz. Wenn nicht der Winternebel den Frevel gnädig verdeckt. Eine der bedeutendsten europäischen Straßenanlagen des 19. Jahrhunderts wird düpiert. Denn beim Genehmigungsverfahren im Jahr 2001 hatte man nur den Blick der ankommenden Autofahrer überprüft. Als die Gremien kurz vor Erteilung der Baugenehmigung merkten, dass die ach so „eleganten“ Büroscheiben das königliche Ludwigstraßenensemble konterkarieren, gab es kein Zurück mehr ohne wirtschaftliches Debakel. Bürgermeister Christian Ude, der sich gern als Beschützer der historischen Silhouette gibt und vehement gegen profane Leuchtreklame auf Hochhausdächern kämpft, wollte danach nicht zugeben, dass die Baugenehmigung ein „Sündenfall“ sei. Die amtliche Denkmalpflege war gar nicht erst beteiligt worden.
Seit über zehn Jahren wird in München über Hochhäuser debattiert. Eine 1996 publizierte Studie führte zu dem Stadtentwicklungskonzept „Perspektive München“. Standorte entlang des Mittleren Rings und auf den frei werdenden Bahnflächen wurden bestimmt, um der „Boomtown“ München ein metropoles Architekturimage zu geben.
Mit den neuen Turmsetzungen entwickelt sich der Mittlere Ring zur Architekturpromenade für Autofahrer bei Tempo 60. Jedesmal, wenn sie aus einem Tunnel auftauchen oder eine Brücke passieren, werden gläserne Wegmarken für eine Standortbestimmung sorgen. Hat man den Vierzylinder von BMW rechts und das Olympiastadion links liegen gelassen, so steuert man jetzt auf Bayerns höchstes Haus zu. 146 Meter ragt der Hightech-Tower „Uptown-München“ vom Düsseldorfer Büro Ingenhoven Overdiek in den weiß-blauen Himmel und macht sich Stadt- und Alpenpanorama untertan. An der Donnersberger Brücke – der meist befahrenen Brücke Europas – markieren Daimler-Chrysler (63 Meter) und der Münchner City-Tower (85 Meter) die Auf- und Abfahrten. Im Osten baut Uwe Kiesler für die Telekom eine Turmagglomeration, die er mit einem atemberaubenden Skywalk verbinden wird. Vielleicht das einzige, städtebaulich interessante Projekt, das durch Dichte und Rhythmus überzeugt und die alte Stadt nicht tangiert.
Gegen die weit gesteckte Stangerlparade wäre ja nichts einzuwenden, wenn es eine ökonomische Notwendigkeit für vertikale Stadtmarken gäbe; wenn damit wirklich avantgardistische Stadtplanung eingeleitet und wenn die hohe Form auch architektonische Maßstäbe setzen würde. Aber keine der Bedingungen ist gegeben: München hat für eine Stadterweiterung reichlich Platz. Vom Hauptbahnhof bis nach Pasing öffnet sich eine breite Schneise auf ehemaligen Bahnflächen. Die Boomzeiten sind vorbei: Derzeit stehen rund 1,5 Millionen Quadratmeter Gewerbeflächen leer. Man hätte genügend Zeit, über die Stadt von morgen nachzudenken, statt die Flächen mit Blöcken der Beliebigkeit zu besetzen.
Ob Hochhäuser künftig eine Rolle spielen sollen, müsste diskutiert werden. Aber dann dürfte das altmodische Klischee vom „modernen“ Gestaltungsmittel kein Argument an sich mehr sein. Insofern ist die aktuelle Auseinandersetzung um den Bebauungsplan des ehemaligen Bahnareals zwischen Friedenheimer Brücke und der fantastischen Paketposthalle eine echte Provinzposse. Als Merkzeichen der neuen Stadtentwicklung sollen gleich 4 „schlanke“ Türme in der Höhe von 80 bis 120 Metern gebaut werden. Die Stadtbaurätin Christiane Thalgott lobt das „Ensemble“ als „Ausdruck einer lebendigen Stadt“ und nimmt für großzügiges Umgebungsgrün in Kauf, dass die Neubauten die Vedute des Nymphenburger Schlosses runinieren werden. Der Widerstand formiert sich in allen Fraktionen.
In Zeiten, in denen Hochhäuser kaum noch von den zukünftigen Nutzern, sondern von Immobiliengesellschaften spekulativ gebaut werden, ist die Zeichenqualität solcher Dimensionssprünge fraglich. Höhe für inhaltliche Leere – wozu? München hat seit den 70ern Maßstab gebende Solitärbauten: Das 18 geschossige BMW-Verwaltungsgebäude des Wieners Karl Schwarzer und das Hypohochhaus von Walther und Bea Betz. In beiden Fällen prägt die Form corporate identity und Standort. Solche Gravitationsfelder schaffen die aktuellen Neubauten nicht. Symbolik ist ihnen fremd.
Stattdessen glänzen sie mit der Glätte perfekten Skinnings. Zweifelsohne bietet Ingenhoven „intelligente“ Skyscrapers, aber eine schlanke Silhouette und eine membranartig um die abgerundeten Ecken gezogenen Glashaut machen noch keine gute städtebauliche Figur. Der eigene Campus mit Wald unterstreicht dabei die spledid isolation des Glasturms. Die viel gepriesene Transparenz kommt allein den zukünftigen Mietern zugute: Unverbaubarer Rundumblick auf die Stadt, das Olympiastadion und die Alpen. Eine Skyline wird es nie geben. Nur selbstverliebte Punktbauten, überdimensionierte Grenzpfähle, die von einem altertümlichen Verständnis von Stadt künden: Obwohl München seit Beginn des 19. Jahrhunderts entfestigt ist, will man auch in Zukunft nicht auf „Tore“ und „Türme“ verzichten.
Wenn die nördliche Bannmeile doch zum Architekturboulevard wird, dann sicher nicht durch „Uptowns“ und „Highlights“, sondern durch das neue Fußballstadion von Herzog & de Meuron und das BMW Erlebniszentrum, das Coop himmelblau baut. Hier werden Zeichen gesetzt, die Ausstrahlungskraft haben.