: Karneval ist eine ernste Sache
Eine Absage der Karnevalsfestivitäten wie 1991 wäre nach Auffassung von Lobbyisten eine „verantwortungslose Kampagne gegen Menschlichkeit“
uss Kölle am Ring PASCAL BEUCKER
Wäre es nicht eine Überlegung wert, so fragte unlängst der in Köln wohnende und in Düsseldorf residierende nordrhein-westfälische Vize-Ministerpräsident Michael Vesper, wenn angesichts der immer massiveren Kriegsdrohung gegen Irak die Kölner Karnevalisten ein Zeichen setzen würden? Zum Beispiel durch eine Änderung ihres Karnevalsmottos: Statt „Klaaf un Tratsch op kölsche Art“ könnte doch mit „Make Alaaf, not War“ Farbe bekannt werden … War nur so eine Idee des Grünen.
Nein, die Karnevalisten in den Hochburgen des rheinischen Frohsinns werden in diesen Tagen nicht gerne auf den drohenden Krieg gegen Irak angesprochen. „An irgendeinem Ort wird es immer Krieg geben, ob Karneval gefeiert wird oder nicht“, konstatiert der Leiter des Kölner Rosenmontagszugs, Alexander von Chiari. Noch einmal so ein Debakel wie 1991, als der letzte Golfkrieg die Stimmung verhagelte, will man sich auf keinen Fall leisten. Heute ab 11.11 Uhr wird geschunkelt, bis es kracht. Da kann kommen, was will!
Denn auch wenn das für Nicht-Rhein- und -Mainländer nicht unbedingt nachvollziehbar ist – der Karneval als solcher ist eine sehr ernsthafte Angelegenheit, mit der man keine Scherze treibt. So kann sich denn auch Peter Schmorleiz über vereinzelte Forderungen einiger „Berliner Hinterbänkler“ empören, die Karnevalsfestivitäten aufgrund des drohenden Irakkrieges auch diesmal wieder abzusagen. Das sei, so sagt der Präsident des Regionalverbandes Karnevalistischer Korporationen Rhein-Mosel-Lahn, eine „verantwortungslose Kampagne gegen Menschlichkeit“. Denn schließlich hätte eine solche Absage auch fatale wirtschaftliche Folgen gehabt. Er kenne Unternehmen, die damals einen dramatische Abbau der Belegschaft hätten hinnehmen müssen. Schmorleiz steht dem größten selbstständigen karnevalistischen Regionalverband in der Bundesrepublik vor, dem weit über 1.000 Brauchtumsvereine mit rund 600.000 Mitgliedern angehören.
Auch der Geschäftsführer des Comitees Düsseldorfer Karneval, Jürgen Rieck, ärgert sich bis heute über den Zugausfall von 1991. Der habe nur zum Ergebnis gehabt, „dass in den USA jedes Fest, jeder Feiertag zelebriert wurde, und wir guckten in die Röhre.“ Rieck: „Das passiert uns kein zweites Mal.“
Martin Uhle von der Oberliblarer KG Klüttefunken sieht das ähnlich: „Weshalb sollen die Karnevalsgesellschaften Schaden erleiden, wenn die Amerikaner den Irak angreifen?“. Und Rainer Finke, der Vorsitzende des Fördervereins Leichlinger Karneval, meint: „Wenn wir uns von den Amerikanern schon einen Krieg aufs Auge drücken lassen, dann wollen wir uns wenigstens nicht im Bunker verkriechen müssen und die Veranstaltungen absagen.“
Auch in Köln war 1991 auf Empfehlung des Bundes Deutscher Karneval und „aus Respekt vor der Reaktion der Bevölkerung auf den Krieg am Golf“ der Straßenkarneval abgesagt worden. Die Kölner gingen trotzdem auf die Straße: Rund 100.000 kölsche Jecken und Anti-Golfkriegs-Demonstranten schlossen sich zu einem bunten Spontanzug zusammen – und demonstrierten und feierten auf dem Weg, der ursprünglich für den traditionellen Rosenmontagszug vorgesehen war.
Das war die Geburtsstunde eines antiautoritären Umzugs, der seit 1992 als „Geisterzug“ stets am Karnevalssamstag durch Köln zieht. „Vor zwölf Jahren hatten wir Trommler, Friedensengel und Schubkarren mit Sand voll Blut als Protestzeichen gegen den Krieg“, erinnert sich Organisator Erich Hermans. Auch wenn das Alternativspektakel dieses Jahr unter dem vor der Irakkrise gewählten Motto „Colonia Corrupta“ steht, ist Hermans doch überzeugt: „Der Geisterzug wird diesmal auch wieder als Friedensdemo laufen.“
Für die traditionellen Karnevalsvereine ist das Thema Irakkrieg tabu. Kriege sollten nicht auf den Motiv-Wagen dargestellt werden, lautet übereinstimmend die Devise in Köln und Düsseldorf. Das Thema sei zu ernst – weswegen es auch schon auf den Sitzungen weitgehend ausgeblendet wurde. Eine Ausnahme bildeten hier nur die Höhner. Die populäre Kölsch-Combo zog mit einer kölschen Version des Antikriegslieds „Sag mir wo die Blumen sind“ durch die Säle. „Wir sehen darin unsere Form des zivilen Protests“, so Bandmitglied Hannes Schöner. Nur bei der Karnevalssitzung der Kölner CDU seien sie damit nicht so gut angekommen.
Ansonsten allerdings blieb der Irakkrieg den Alternativkarnevalisten der Kölner Stunksitzung vorbehalten. Hier trat der Kabarettist Didi Jünemann mit einer flammenden George-W.-Bush-Rede auf, die eine „Dolmetscherin“ für das pazifizierte deutsche Publikum „übersetzte“: Aus „We need you krauts in the frontline“ wurde „Von deutschem Boden darf nie wieder ein Krieg ausgehen“.
So etwas kommt dem offiziellen Karneval nicht unter: „Das Thema Irak spielt bei unserem Rosenmontagszug überhaupt keine Rolle. Wir feiern Karneval“, sagt Zugleiter von Chiari. Es gebe Themen wie Krieg oder auch den Papst, die für die Umzüge völlig ungeeignet seien. Schließlich sollten die Leute „ihre Sorgen vergessen“. Der Mainzer Carneval Verein wagt zumindest eine Andeutung. Auf einem Wagen wird eine eingeschnürte Weltkugel zu sehen sein. An den Seilen hängen Schilder, auf einem steht „Terrorismus“.
Die alternative Kölner Stunksitzung ist in einer Kurzfassung am Sonntag um 22.30 Uhr und am Dienstag ab 0.30 Uhr in voller Länge im WDR zu sehen. Die Erfolge von Didi Jünemanns und Jürgen Beckers „Missionswerk Rheinischer Frohsinn“, das dieses Jahr in Istanbul unterwegs war, sind am Rosenmontag um 23.00 Uhr im WDR zu begutachten.