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Archiv-Artikel

„Wir müssen das auf mehr Schultern verteilen“

Mit einer Berlin-Steuer können auch die Wohlhabenden der Stadt stärker zur Kasse gebeten werden, meint der grüne Finanzexperte Jochen Esser. Juristische Probleme sieht er nicht. Das Geld will Esser für soziale Zwecke ausgeben

Ihr Vorschlag, eine Haushaltsnotlage-Sondersteuer einzuführen, stößt zumeist auf Ablehnung. Überrascht?

Jochen Esser: Dass meine Idee Diskussionen auslöst, ist klar. Was mich bewegt, ist aber Folgendes: Die Haushaltskonsolidierung machen wir fast ausnahmslos durch Ausgabenkürzung, und davon sind nur die betroffen, die auf die sozialstaatlichen Leistungen angewiesen sind. Ähnlich sieht es bei den Einnahmen aus, die sich der rot-rote Senat verschafft – etwa bei der Streichung der Lernmittelfreiheit und der Erhöhung der Kita-Gebühren.

Die Berliner müssen an vielen Stellen mehr zahlen: Kita-Gebühren, Wasser- und BVG-Preise sind nur einige Beispiele. Wann ist da das Ende der Fahnenstange erreicht?

Die Einnahmemaßnahmen, die sich der Senat hat einfallen lassen, treffen vor allem sozial Schwache und Familien mit Kindern. Wir müssen das aber auf mehr Schultern verteilen und auch an die Wohlhabenden in der Stadt herantreten. Zum Beispiel indem man die Berlin-Steuer einführt. Das kann nur über die Steuerhoheit der Landespolitik geschehen.

Wie soll die neue Steuer funktionieren?

Die Steuer wird an das Einkommen gekoppelt; sie soll einen hohen Freibetrag enthalten und stark progressiv sein. Dadurch erreicht man, dass geringe Einkommen nichts oder nur sehr wenig zahlen, während höhere Einkommen zur Kasse gebeten werden. So kommen wir auch an diejenigen ran, die viele der bisherigen Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung nicht tangieren, weil sie auf staatliche Leistungen nicht angewiesen sind. Das merke ich an mir als Abgeordnetem: Mein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung ist gering. Wenn man mit der Berlin-Steuer die Einführung von Studiengebühren, die hohen Kita-Beiträge etc. verhindern kann, ist das sozial gerechter als die Politik des Senats.

Wie viel Geld wollen Sie so einnehmen?

Rund 100 Millionen Euro jährlich, sonst lohnt sich der Aufwand nicht. Ein Beispiel: Wenn man sich an der Einkommensteuer orientiert und einfach 3 Prozent auf die jeweilige Steuerschuld aufschlägt, läge die Berlin-Steuer bei einem Jahreseinkommen von 15.000 Euro bei unter 2 Euro im Monat. Bei 250.000 Euro Verdienst käme man schon an 300 Euro monatlich heran. Bei der Masse würde die Berlin-Steuer rund 10 Euro im Monat betragen. Wenn die Bundesregierung übrigens endlich eine Reform der Erbschaftsteuer hinkriegen würde, bräuchte man über Berliner Sonderregelungen nicht zu reden.

Die bundesweite Diskussion läuft in eine andere Richtung …

Wir haben seit Jahren in der Steuerpolitik folgenden Trend: Die Staatshaushalte werden geschwächt, und für die oben bleibt mehr übrig als für die unten. Die Konsolidierungspolitik, die die Städten und Gemeinden auf Grund sinkender Einnahmen machen, trifft wiederum die unten. Diesem Trend muss man entgegenwirken.

Ihre Steuer ist juristisch umstritten.

Die Länder haben die Möglichkeit, Steuern zu erheben. Juristisch ist das kein Problem, das haben wir geprüft.

Nehmen wir an, Ihre Steuer kommt. Ziehen dann nicht noch mehr wohlhabende Berliner ins Umland?

Das ist ein Risiko, das man ernst nehmen muss. Da wünsche ich mir eine vertiefende Diskussion mit den Wirtschaftsinstituten, mit Augenmaß.

Was nützen Ihre Steuer-Mehreinnahmen, wenn sie sofort in den Haushaltslöchern verschwinden?

Befürchtungen, dass sich Sarrazin alles einsackt, verstehe ich. Das Ganze macht nur Sinn, wenn wir eine Übereinstimmung mit SPD und PDS hinkriegen, die Mittel für soziale Zwecke einzusetzen. INTERVIEW: RICHARD ROTHER