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Archiv-Artikel

Die Kiste Nummer acht

Der neue Werkzeugkasten für den semiotischen Trickster: Mit einem trashigen Wunder- und Gruselkabinett wird bei „after the butcher“ das Thema „Verbesserung“ durchgespielt

VON KITO NEDO

Zu Lebzeiten des berühmten Entfesselungskünstlers Houdini war „Trunk Number Eight“ – die Kiste mit der Nummer acht – das Allerheiligste. Niemand außer dem Meister selbst und seinen engsten Assistenten hatte Zugriff auf die geheimnisumwitterte Box. Als ein Sammler nach Houdinis Tod das Behältnis in dessen Nachlass aufspürte, witterte er eine Sensation. Doch die Kiste des Magiers stellte sich als ziemlich profaner Werkzeugkasten heraus: „Zimmermänner, Klempner, Schuster und Polsterer sowie Mechaniker hätten sich hier ziemlich zu Hause gefühlt“, lautet leicht säuerlich der Kommentar über den vermeintlich spektakulären Fund.

Mit „Trunk Number Eight“ ist auch eine Art Wandzeitung betitelt, die zurzeit im Ausstellungsraum „after the butcher“ in Berlin-Lichtenberg zu sehen ist. Hier sind Zeitungsausrisse, Fotografien und Zeichnungen zu einer Collage zusammengefügt, die eine besondere Vorliebe für bizarre Skandale, Naturkatastrophen und das überdrehte Medienpersonal ablesen lassen, das die Titelseiten der kostenlosen U-Bahn-Blätter und die Vermischtes-Spalten in den seriöseren Blättern bevölkern.

Man sieht die beiden singenden Nazi-Teens Lamb und Lynx Gaede, die öfters mit Hitler-Smiley-T-Shirts durch die internationale Presse geistern, das verkniffene Gesicht des New Yorker Ex-Gouverneurs Eliot Spitzer, der im Frühjahr über eine Sex-Affäre sein Amt und sein Saubermann-Image verlor, oder Obama- Screenshots, die sich mit der angeblichen dunkleren Tönung von Videomaterial in einem Werbeclip für Hillary Clinton beschäftigen. Die Collage ist so etwas wie der Produktionstagebuch der Ausstellung „Verbesserung“.

Das Interessante an Houdini, der 1926 in Detroit verstarb, erklärt Diego Fernandez, Mitglied der Künstlergruppe „Instituto Divorciado“, die neben den ebenso mysteriösen „Sex Tags“ für die Schau und die Collage verantwortlich ist, sei nicht nur, dass er einer der frühen, wirklich global gefeierten Showstars war, sondern auch seine Popularität in repressiven Staatenwesen wie dem Deutschland der Kaiserzeit oder dem zaristischen Russland hatte. Ob sich nun aber hinter dem hier ausgestellten „Trunk Number Eight“ der neue Werkzeugkasten für die semiotischen Trickster unserer Tage verbirgt, bleibt der eigenen Vorstellungskraft überlassen.

Doch die unterliegende Botschaft, dass auch die einfachsten Werkzeuge die magischsten Effekte, vielleicht sogar eine echte „Verbesserung“ bewirken können – die ist angekommen.

Denn die „Verbesserung“, das Schwanken zwischen einem vermeintlich „schlechten“ und einem vermeintlich „besseren“ Zustand, ist die erklärte thematische Klammer für die unterschiedlichsten Exponate, die den ehemaligen Fleischerladen auf der Spittastraße in ein leicht trashiges Wunder- und Gruselkabinett der Gegenwart verwandeln. Da ist etwa ein kleiner, von jüngeren Ausstellungsbesuchern sehr bewunderter VW-Bus, angemalt mit bunten Hippie-Mustern, der auf einer Vinylscheibe endlose Runden dreht: aus dem Inneren des Spielzeugs scheppert ein billiger Technobeat. Oder die Fotografie einer schönen jungen Frau in einem blauen Frottee-Bademantel, deren Haar unter einer Oma-haften Duschhaube verborgen ist. Ein neben der großen Fotografie festgeschraubtes Fläschchen mit Läusemittel eröffnet ganz neue Deutungsmöglichkeiten.

Es ist der Sinn für einen dunklen Humor, der alle Exponate miteinander verbindet. So entwarfen Fernandez und seine Mitstreiter für die Installation „Stealth Spider Web with Thor Steinar Bait“ eine expressionistische Holzverschalung, die sich in dekorativer Unheimlichkeit in eine Ecke schmiegt, und erstanden im rechten Thor-Steinar-Geschäft in Berlin-Mitte ein lachsrosa Hemd, das als „böses Zeichen“ über der Stealth-Bomber-Struktur schwebt.

Dabei sei es gar nicht so sehr die Irritation über die campig aussehende Nazi-Klamotte, die die Diskussionen um „Stealth Spider“ entfache, berichtet Fernandez. Für Verstimmung habe eher die Tatsache gesorgt, dass der in New York lebende Chilene das Hemd tatsächlich für die Installation gekauft hatte – und so nun, Kunst hin oder her, Geld in dem Laden für unverbesserliche Rechte gelassen hat.

Instituto Divorciado & Sex Tags: „Verbesserung“. After the butcher, Spittastr. 25, Berlin-Lichtenberg, www.after-the-butcher.de, bis 8. November 2008