: Das Wettrennen um die DNA
Vor 50 Jahren entdeckten zwei junge Forscher die Struktur der Erbsubstanz. Die von James Watson und Francis Crick gebaute DNA-Helix ist nicht nur das Symbol der Molekularbiologie. Mit der Helix begann auch der rasante Aufstieg der Biotechnologie
von WOLFGANG LÖHR
Für Gentechniker und Biotechnologen ist heute ein besonderer Tag: An einem Samstag vor genau 50 Jahren stürmten die beiden jungen Forscher Francis Crick und James Watson in ihre Stammkneipe „Eagle“ und verkündeten: „Gerade haben wir das Rätsel des Lebens geknackt.“ Der 24-jährige Amerikaner Watson und der 36-jährige Brite Crick kamen direkt aus ihrem Arbeitszimmer am Cambridger Cavendish Laboratory. Dort hatten sie zuvor die Struktur des Erbmoleküls Desoxyribonukleinsäure, heute besser bekannt unter dem Kürzel DNS bzw. DNA, aufgeklärt.
Seinerzeit nahmen nur wenige Fachkollegen die Nachricht überhaupt zur Kenntnis. Auch nachdem Watson und Crick einige Wochen später, am 25. April, eine Beschreibung ihres DNA-Modells in der führenden Fachzeitschrift Nature veröffentlichten, war die Resonanz mehr als dürftig. Lediglich eine einzige Zeitung soll den Bericht, der einige Jahre später sogar mit den Nobelpreis geehrt wurde, aufgriffen haben.
Das 50. Jubiläum wird dafür umso pompöser an den Wirkstätten der beiden Forscher gefeiert. Denn dieser Tag gilt als die Zäsur in der Molekularbiologie. Mit der Entdeckung der DNA-Struktur wurde die Entwicklung der so genannten Jahrhunderttechnologie überhaupt erst möglich. Erst nachdem die Struktur der DNA vorlag, konnten sich Forscher daran machen, Techniken zu entwickeln, um Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere oder gar den Menschen gezielt zu manipulieren.
Das Watson-und-Crick-Modell der Erbsubstanz kennt heute fast jedes Schulkind. Anfang der Fünfzigerjahre war hingegen noch nicht einmal geklärt, welche Moleküle Träger der Erbinformationen waren. Bekannt war, dass es Gene geben muss, die die Erbinformationen von einer Generationen zur nächsten weitertragen. Doch wo die Gene zu suchen waren und wie es überhaupt möglich war, dass die Erbinformation gespeichert werden konnte, war noch ein Geheimnis. Einige Forscher favorisierten Eiweißstrukturen als Sitz der Gene, andere setzten wie Watson und Crick auf die DNA.
Seit 18 Monaten schon hatten Watson und Crick in ihrem Arbeitszimmer immer wieder neue DNA-Modelle ausgetüftelt. Eigene Experimente führten die beiden Forscher nicht aus. Watson und Crick nutzten die Forschungsergebnisse von anderen DNA-Forschern und werten sie für ihre Modellbastelei aus.
So hatte der Biochemiker Erwin Chargaff, der nach seiner Eremetierung vor allem als wortgewandter Kritiker der Gentechnologie bekannt wurde, herausgefunden, dass die Häufigkeit der DNA-Bausteine Adenin (A) und Thymin (T) sowie Guanin (G) und Cytosin (C) in Organismen immer in einem gleichen Verhältnis vorkamen. Watson und Crick schlossen daraus, dass die Bausteine A mit T und G mit C im DNA-Molekül Paare bilden müssen.
Dass das Erbmolekül vermutlich eine Helix bildet, hörte Watson bereits 1951 bei einem Vortrag der Biochemikerin Rosalind Franklin, die am Londoner King’s College mittels der Röntgenbeugung die Struktur von DNA-Kristallen untersuchte. Franklin und ihr Chef, der Biophysiker Maurice Wilkins, galten als Experten der Röntgenbeugung.
Franklin kam mit den beiden Forschern überhaupt nicht klar. Das beruhte auf Gegenseitigkeit. Bei einem Besuch in Cambridge hatte Franklin ein von Watson und Crick gebasteltes DNA-Modell so vernichtet kritisiert, dass die beiden Forscher von ihrem Chef sogar aufgefordert wurden, ihre ursprüngliche Forschungsarbeiten mit Viren und Proteinen wieder aufzunehmen.
Bei dem Wettrennen um die DNA-Struktur hatten Watson und Crick, die – behauptet zumindest Watson – schon damals gewusst haben wollen, dass es dafür einmal den Nobelpreis geben wird – vor allem zwei Forschergruppen als Mitkonkurrenten zu fürchten: die Forschergruppe am King’s College und den international anerkannten Chemiker Linus Carl Pauling, der am California Institute of Technology ebenfalls versuchte eine DNA-Modell zu bauen.
Pauling hatte durch „höhere Gewalt“ jedoch keinen Zugriff auf die unveröffentlichten Röntgenbeugungsmuster Franklins. 1952 hatte Pauling noch versucht nach England zu reisen, um Franklin persönlich zu besuchen. Doch das US-Außenministerium machte diese Pläne zunichte und verweigerte ihm die Verlängerung seines Reisepasses. Wegen seiner liberalen Ansichten hatte das Komitee für unamerikanischen Aktivitäten dem Außenministerium geraten, dem späteren zweifachen Nobelpreisträger Pauling (1954 den Nobelpreis für Chemie und 1963 den Friedensnobelpreis) nicht reisen zu lassen.
Als Watson und Crick dann Anfang 1953 ein Manuskript von Pauling mit seinem neuesten DNA-Modell einsehen konnten, schöpften sie wieder Hoffnung, dass Wettrennen doch noch gewinnen zu können. Sie erkannten sofort, dass Paulings Modell nicht funktionieren konnte.
Den entscheidenden Hinweis für ihr DNA-Modell erhielten die beiden ehrgeizigen Forscher dann kurze Zeit später, eher zufällig und hinter dem Rücken der Forscherin, die das Ergebnis produziert hatte. Anfang Februar besuchte Watson Rosalind Franklin im King’s College. Dabei soll es zum Streit gekommen sein, so berichtete später Watson, der fluchtartig Franklins Arbeitsraum verlassen haben will.
Bei seinem Rückzug lief ihm Franklins Chef, Maurice Wilkins, über den Weg. Er zeigt Watson, nichts von dem Streit ahnend, ein Manuskript mit den aktuellen von Franklin erzeugten Röntgenbeugungsmustern. Darauf erkannte Watson sofort, dass es sich bei dem Erbmolekül um eine Spiralform handeln müsse. Sofort nach seiner Rückkehr setzte er sich mit Crick hin, und sie bastelten zusammen die zweisträngige DNA-Helix. 1962 – Rosalind Franklin war 1958 im Alter von 37 Jahren an Krebs gestorben – erhielten Watson, Crick und Wilkins den Nobelpreis für die Aufklärung der DNA-Struktur. Erst Jahre später berichteten Watson und Crick, welchen Anteil Franklin tatsächlich an ihrem Modell hatte.