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Archiv-Artikel

Haftbefehle gegen Protestierer

Selektive Reaktion der Behörden auf Demonstration gegen den EU-Gipfel in Rom

ROM taz ■ Ebenso spät wie heftig hat gestern Roms Staatsanwaltschaft auf die Ausschreitungen am Rande des EU-Gipfels vom 4. Oktober 2003 reagiert. Per Haftbefehl wurden zwölf Demonstranten wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt unter Hausarrest gestellt. Die damalige Schadensbilanz umfasste zwei zerstörte Tankstellen, eine abgefackelte Zeitarbeitsagentur, abgebrannte Müllcontainer, eingeschlagene Scheiben bei Banken, verletzte Polizisten und ein von Protestierern nach seiner Entdeckung im Demonstrationszug zusammengeschlagener Zivilbeamter.

Doch nicht wegen dieser Gewalttaten – sie wurden dem „Schwarzen Block“ zugerechnet – müssen sich die jetzt Verhafteten verantworten. Sie, durch die Bank römische Aktivisten der „Ungehorsamen“, hatten in der Tradition ihrer aus den „Tute bianche“ (den „Weißen Overalls“) hervorgegangenen Bewegung zum symbolischen Sturm auf die „Rote Zone“ rund um den Tagungsort der EU-Staats- und Regierungschefs aufgefordert. Den Sturm, vorgetragen mit einer großen Schaumstoffrolle und Plexiglasschilden, schlug die Polizei nach ein bisschen Gerangel ohne Mühe zurück. Jetzt aber sollen die per Auswertung des TV-Materials Identifizierten wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zur Verantwortung gezogen werden.

Prominentester der Verhafteten ist Nunzio D'Erme. Der 43-jährige Aktivist der Autonomen Zentren sitzt als auf der Liste von Rifondazione Comunista gewählter Unabhängiger im Stadtrat von Rom und gehört damit zur Regierungsmehrheit des Bürgermeisters Walter Veltroni. Schon unmittelbar vor dem EU-Gipfel fiel D'Erme auf, weil er mit einer kleinen Gruppe von Ungehorsamen einige Kübel Scheiße vor dem Wohnsitz Berlusconis auskippte.

Das Berlusconi-Lager nutzt deshalb jetzt die Verhaftungswelle, um Bürgermeister Veltroni und die Mitte-links-Parteien als Komplizen von Gewalttätern zu brandmarken. Auf der anderen Seite spricht Luca Casarini, nationaler Chef der Ungehorsamen, von „faschistischen Maßnahmen“, die darauf zielten, den sozialen Protest zu kriminalisieren, und Paolo Cento, Abgeordneter der Grünen, ruft die Linksparteien zum Widerstand gegen die „autoritäre Kampagne“ auf.

MICHAEL BRAUN