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Archiv-Artikel

Brasilien fordert von Washington Respekt

Die Verfügung eines Provinzrichters wird zur Regierungspolitik: US-Bürger werden erkennungsdienstlich behandelt

PORTO ALEGRE taz ■ „Wir brauchen nicht so zu werden wie sie.“ Sie, das sind die Amis. Anstatt US-Reisende auf einheimischen Flughäfen erkennungsdienstlich behandeln zu lassen, so eine Wochenzeitschrift, solle man lieber eine Tourismus-Kampagne starten, etwa unter dem Motto: „Kommen Sie nach Brasilien. Hier wird keine Datei angelegt.“

Kaum ein Thema beschäftigt Brasilien derzeit mehr als die Anordnung des Richters Julier Sebastião da Silva aus dem Bundesstaat Mato Grosso: Seit dem Neujahrstag nämlich müssen sich Touristen und Geschäftsleute, ja selbst Diplomaten und Politiker aus den USA bei der Einreise die Fingerabdrücke nehmen und fotografieren lassen.

Die Prodezur, die sich stundenlang hinziehen kann, mag von den Betroffenen als absurde Schikane oder als gezielte Diskriminierung der US-AmerikanerInnen empfunden werden.

Dass es sich dabei nicht um den Spleen eines Provinzrichters handelt, wurde spätestens am Dienstag klar, als Brasiliens Außenminister Celso Amorim die US-Botschafterin zu sich bat. Sobald seine Landsleute auf US-Flughäfen so unbürokratisch abgefertigt würden wie die Reisenden aus 27 Industrieländern, so Amorim, seien die umstrittenen Kontrollen kein Thema mehr. Wie schon Richter da Silva bezog sich Amorim auf das juristische Prinzip der Gegenseitigkeit, das Brasilien seit dem Amtsantritt von Präsident Lula vor einem Jahr resoluter denn je für die Länder des Südens reklamiert. Dieses Prinzip sei ein „Grundelement der internationalen Beziehungen“, ließ Amorim verlauten, der sich auch von einem Anruf seines US-Kollegen Colin Powell unbeeindruckt zeigte.

Da aus Washington kein Signal zum Einlenken kam, trat gestern ein Erlass in Kraft, der die Kontrollmaßnahmen der Bundespolizei bis auf Weiteres aufrecht erhält. Mitarbeiter des Außen- und Jusitizministeriums sowie der Staatsanwaltschaft sollen innerhalb von 30 Tagen Vorschläge über die Einreisekontrollen für Ausländer vorlegen. Seit Jahren müssen selbst Kurzzeittouristen aus den USA bei der Einreise ein Visum vorlegen, anders etwa als viele Europäer.

Ohne regierungsamtliche Reaktion blieb die Bestimmung des US-Heimatschutzministeriums vom vergangenen August, nach der nun auch Transitreisende aus Entwicklungsländern ein Visum brauchen – kaum ein US-Bürger fliegt lediglich zum Stopover nach Brasilien. Das Sicherheitsargument, das Washington als Begründung für die Diskriminierung von Passagieren aus dem Süden anführt, stößt in Brasilien auf Skepsis. Warum, fragt etwa ein Kolumnist, müssen sich Deutsche nicht den „Registrierungen und demütigenden Durchsuchungen“ unterziehen, wo doch Berlin und Washington immer wieder auf die Aktivitäten von al-Qaida in deutschen Städten verweisen? Und alle Umfragen belegen: Eine große Mehrheit der Bevölkerung unterstützt das selbstbewusste Auftreten der Regierung Lula, das auch bei den lateinamerikanischen Nachbarn gut ankommt. Im mexikanischen Monterrey, wo seit gestern 34 amerikanische Staats- und Regierungsschefs tagen, geht es ebenfalls um Sicherheit – und um Respekt.

GERHARD DILGER