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Archiv-Artikel

Der Duft der runden Wirtin

AUS MONROVIA HAKEEM JIMO

Sie sitzt umhüllt von einer Parfumwolke. Frauen um die 50 Jahre haben manchmal eine Schwäche für schwere Parfums. Wata Modad lacht. Es sei gar nicht ihr Parfum, sondern der Duft des Baumes, sagt die rundliche Frau. Liberianer haben einen passenden Namen für diesen Baum gefunden: Parfum Tree. Der Duftbaum steht im Hof des Hotels von Wata Susanna Modad. Von außen sieht man ihn kaum, weil eine Mauer die Sicht versperrt. Die Betonmauer bröckelt, die weiße Wandfarbe blättert, aber es duftet wie in der Parfumabteilung einer Drogerie. Wenn man die Blätter trocknet, wird der Duft dezenter, Frauen stecken sie sich an die Bluse.

„Eigentlich fehlt es uns an nichts in diesem Land. Aber das Elend ist unendlich groß“, sagt Wata. Sie ist 50 Jahre alt, wird trotzdem von allen Oma genannt und führt das Hotel Newahun in Monrovia. „Newahun“ heißt „schöner Aufenthalt“. Aber seit zehn Jahren gibt es keinen öffentlichen Strom mehr, und wenn die Moskitos kommen und die Hitze, wird kein Hotelbesuch mehr zum erholsamen Aufenthalt. Zwar steht nur einige hundert Meter entfernt der Präsidentenpalast, aber seit die Rebellen des früheren Kriegsfürsten und später gewählten Präsidenten Charles Taylor das einizige Kraftwerk im Land zerstört haben, fließt selbst in diesem Viertel kein Strom mehr – wie im Rest des Landes.

Vor einem Jahr erst hat Wata das Hotel eröffnet. Aber schon jetzt lassen es Mangelwirtschaft und laienhafte Handwerkerarbeit renovierungsbedürftig erscheinen. Wata entschuldigt sich für die Umstände. Es ist ihr unangenehm, ja sogar peinlich. Dann schaut sie bedrückt zu Boden. Sie weiß nicht, wie sie es ändern kann.

Die hartnäckige Hotelchefin

„Wir versuchen uns, so gut es geht, durchzuschlagen“, sagt Wata. Trotz der mörderischen Granatenangriffe, die noch bis zum vergangenen August die Menschen terrorisierten, hat sie das Land nicht verlassen. Dieses Hotel sei ihre Lebensgrundlage, sagt sie und drückt dabei ihre rundlichen Fingerspitzen fest aufeinander. Wenn sie gegangen wäre, hätte man wohl auch ihr Haus geplündert. Ein Schicksal, das viele Geschäfte, Wohnungen und Büros in den chaotischen Wochen ereilte, als Rebellen versuchten, die Innenstadt zu stürmen und Regierungsmilizen ein letztes Mal ihre Willkür ausspielten.

Weil die Rebellen die beiden Brücken vom Festland auf die Halbinsel mit dem Stadtzentrum nicht einnehmen konnten, begannen sie ihre Mörserattacken. Dutzende Menschen aus Watas Nachbarschaft suchten Schutz im Restaurant des Hotels, wo die Mauern besonders dick sind. Bei Wata explodierte kein Geschoss. Die zwölf Zimmer und auch der Anbau blieben heil. Gäste waren sowieso nicht da. Aber wenn eine Granate eingeschlagen wäre, würde die Zukunft noch düsterer aussehen.

In den Jahren, als Liberia im Kriegszustand lag, kamen fast nur Geschäftemacher, Diplomaten und Journalisten ins Land. Und die stiegen in komfortableren Hotels ab. Das Hotel Newahun war lange die einzige Pension mit höherem Standard, die liberianisch geführt und trotzdem nicht geschlossen wurde, sagt die Hotelbesitzerin.

Weil keine Gäste da sind, nutzt sie eines der Zimmer als Büro. In zwei anderen lebt sie mit ihren Kindern. Ihr Mann, ein Libanese, ging vor fünf Jahren wegen einer schweren Lungenentzündung in die Heimat zurück. Im Dezember wollte er wiederkommen, aber der Krieg hat die Pläne vereitelt. Der älteste Sohn studiert in den Vereinigten Staaten. Nur ihre 17-jährige Tochter und der 19-jährige Sohn wohnen im Hotel. Seit dem Herbst können sie wieder zur Schule gehen. Fast ein Jahr haben sie zu Hause nur herumgegammelt. „Das war keine gute Zeit für die Kinder. Aber wir mussten schon froh sein, genug zu essen zu haben“, sagt Wata.

Das Hauptnahrungsmittel Reis kostete in der schlimmsten Zeit vor dem Rücktritt des Präsidenten Charles Taylor das Zehnfache des normalen Preises. Einen Liter Benzin verkauften Schwarzhändler für bis zu acht US-Dollar. Wata kaufte einen gebrauchten Generator, um wenigstens manchmal Strom zu haben, aber der lief schon bald nicht mehr. Die Wirtschaftssanktionen haben der ersatzteilbedürftigen Maschine schnell den Garaus gemacht.

Trotz dieser Flut an täglichen Problemen strahlen die kleinen Augen von Wata Zuversicht aus. Sie hat gelernt, mit Widrigkeiten umzugehen. Ihre ersten Jahre hat sie im Hinterland Liberias, in Bopuluhun, verbracht. Sie wuchs auf inmitten vielet Geschwister, dann ging sie nach Monrovia und studierte Politikwissenschaften. Aber mit dem Militärputsch von Samuel Doe fand die Ausbildung ein jähes Ende. Dem jungen Machthaber waren alle politische Aktivitäten und Gesellschaftsforschung verdächtig. Wata blieb nichts anderes übrig, als die Universität zu verlassen und für sich selbst zu sorgen. Sie eröffnete ein kleines Geschäft, exportierte afrikanische Stoffe nach Amerika und erhielt im Gegenzug Getränke, Lebensmittel und Haushaltgeräte aus der westlichen Welt.

Mit Beginn des Bürgerkrieges Anfang der 90er-Jahre bekam ihr Leben eine neue Aufgabe. Den Kontakt zu den ländlichen Gebieten hatte sie nie verloren, jetzt sah sie das wachsende Elend der Menschen. Der Guerillakrieg verschonte selbst abgelegene Dörfer nicht – auch nicht ihren Heimatort. Menschen verloren ihre Häuser, den Versorger der Familie oder erlitten durch die besinnungslose Gewalt schwere Traumata. Wata wollte helfen. Sie gründete eine landesweite Organisation für Frauen und Kinder, die National Association of Women and Children of Liberia. Als Präsidentin lenkte sie Geld und Aufmerksamkeit auf die ländlichen Regionen Liberias. Sie reiste durch die ganze Welt, wurde sogar vom amerikanischen Expräsidenten Jimmy Carter empfangen und arbeitete eng mit internationalen Hilfsorganisationen zusammen.

Der Bürgerkrieg wütete immer weiter. Für zwei Jahre ging Wata in die Elfenbeinküste und kam kurz nach der Wahl von Charles Taylor Mitte 1997 zurück. Ihre Organisation hat diese Auszeit nicht überstanden. Querelen und Intrigen ließen den Kinder- und Frauenverband scheitern. Im vergangenen Oktober gründete Wata eine Nachfolgeorganisation: Wochirrc, Women and Children for Rehabilitation and Reconciliation. Das Konzept ist ähnlich.

Die tröstende Präsidentin

„Das Leiden auf dem Land ist nach wie vor unvorstellbar. Vor allem Frauen und Mädchen sind traumatisert. Wenn sie keine Aufgaben finden, kein Ziel haben, dann kommen sie aus diesem Loch nicht mehr heraus“, sagt Wata. Sie will den Menschen eine Möglichkeit zum wirtschaftlichen Überleben bieten: Kleider nähen, Stoffe färben, Seife kochen, Brot backen. Auch um den traditionellen Hausbau kümmert sie sich, zehntausende von Häusern wurden systematisch zerstört. Heimische Architekten hätten bereits Baupläne entworfen, mit heimischen Materialien. Nur Nägel und Werkzeug wolle man zur Verfügung stellen, sagt Wata. Doch selbst dafür braucht es Hilfe aus dem Ausland.

Auch in der Hauptstadt Monrovia – mit den immer noch zehntausenden Vertriebenen – gibt es humanitäre Not. Wata versucht, jeden Tag eines der Vertriebenencamps zu besuchen: zum Beispiel das Kindergartenprojekt im größten Flüchtlingslager, dem Stadion, wo zeitweise mehr als 50.000 Menschen auf dem Fußballfeld und den Tribünen kampierten. Am Strand von Kendeja, dem einstigen nationalen Kulturzentrum, gibt sie Frauen psycholgischen Beratung. Viele dieser Frauen wurden vergewaltigt und misshandelt. Am Ende der Gespräche bleibt Wata nur, zu sagen: „Wir werden alles tun, was uns möglich ist. Aber ich kann nichts versprechen.“

Trotz dieser ernüchternden Satzes scheint die ruhige und tiefe Stimme auf die Frauen zu wirken. Dutzende stellen sich zu den Beratungen an. Viele wollen wenigstens einmal von ihrem Leid berichten. Wie die 23-jährige Mutter, die erzählt, wie ihre Familie in einem Haus verbrannt wurde und die Fliehenden erschossen wurden. Eine ältere Frau berichtet, dass ihre Nichte vor ihren Augen vergewaltigt wurde und Rebellen ihre beiden Töchter verschleppten. Eine andere Frau kehrte nach 13 Jahren im Exil zurück – nur Tage später zerfetzte eine Granate die Bekannten, bei denen sie untergekommen war.

In den schlimmen Momenten der Erzählungen schrickt auch Wata zusammen. Dann kauert sie vor den Opfern, hebt ihre Hand und berührt die Frauen sanft. Vielleicht lässt schon der menschliche Kontakt etwas Zuversicht aufkommen, vielleicht bringt Wata einen Hauch von Trost in dieses zerrüttete Land. Sie selbst hofft, dass mit der Friedensmission nun endlich genügend Soldaten, UNO-Mitarbeiter und Entwicklungshelfer nach Monrovia kommen – Menschen, die alle ein Zimmer brauchen. Dann wird sie sechs Stockwerke auf den Anbau setzen; die Pfeiler hatte sie beim Bau vorsorglich dafür auslegen lassen. Der Duft des Parfumbaums wird sicher bis ganz nach oben steigen.