: Westminster probt den Aufstand
Im britischen Parlament rebellieren 121 Labour-Abgeordnete gegen Blairs Irakpolitik
DUBLIN taz ■ Es war die größte parlamentarische Rebellion gegen eine Regierung in der britischen Geschichte. 199 Unterhausabgeordnete stimmten am Mittwochabend für eine Resolution, die besagt, dass die Gründe für einen Krieg gegen den Irak bisher nicht überzeugend seien – darunter 121 Labour-Abgeordnete, die gegen den Fraktionszwang verstießen. 199 sind mehr, als die oppositionellen Konservativen überhaupt Abgeordnete haben. Vor der Kriegsdebatte hatte Blair gesagt, die britischen Soldaten wollen sich sicher sein, dass das Unterhaus geschlossen hinter ihnen steht, wenn sie ins Feld ziehen. Nach der Abstimmung wissen sie, dass das nicht der Fall ist.
Zwar wurde der Antrag der Rebellen letztendlich mit 393 Stimmen abgelehnt und Blairs inhaltsleere Resolution über die Unterstützung der Vereinten Nationen angenommen, doch das ist kein Grund zur Beruhigung für ihn. Segnet der UN-Sicherheitsrat den Angriff auf den Irak nicht ab, riskiert Blair die Spaltung seiner Partei. Die Rebellen hoffen, dass er deshalb mäßigend auf Bush einwirken wird.
Die sechsstündige Debatte war, wie zu erwarten, emotional geladen. Der Premierminister verdrückte sich vorsichtshalber nach der Eröffnungsrede seines Außenministers Jack Straw und überließ es ihm, die Regierungsposition zu vertreten. Am heftigsten wurde Blair von seinen ehemaligen Kabinettsmitgliedern kritisiert. Zum Glück hatte er die Tories, die seine Politik verteidigten und fast geschlossen gegen den Antrag der Labour-Rebellen stimmten. Ex-Tory-Verteidigungsminister Michael Portillo ging Blair zur Hand, indem er eine Verbindung zwischen Saddam und al-Qaida herstellte: „Sowohl Saddam als auch al-Qaida waren darüber beruhigt, dass der Westen früher nicht bereit war, gegen sie vorzugehen. Und das ist die Verbindung zwischen al-Qaida und Saddam. Beide hassen den Westen und glauben an Terror.“
Der ehemalige außenpolitische Sprecher der Labour-Partei, Gerald Kaufman, schlug sich auf Blairs Seite, gab jedoch zu bedenken, dass es sich um die „unappetitlichste US-Regierung“ aller Zeiten handle. „Unter Bush sind die USA ein schlechter Weltbürger“, sagte er. Der ehemalige Tory-Schatzkanzler Kenneth Clarke meinte, die friedlichen Lösungsmöglichkeiten seien längst nicht ausgeschöpft: „Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass der Kriegskurs, auf dem wir uns jetzt befinden, bereits vor vielen Monaten festgelegt worden ist, und zwar von Washington.“ Peter Kilfoyle, ehemaliger Staatssekretär im Verteidigungsministerium, bezweifelte, dass das Unterhaus eine weitere Gelegenheit zur Abstimmung bekomme, bevor britische Truppen in den Krieg geschickt werden. Außenminister Jack Straw widersprach nur halbherzig: „Es ist unsere Hoffnung und unser Plan, und das wäre auch im Interesse der Regierung und des Unterhauses, dass eine solche Abstimmung vor einer militärischen Aktion stattfindet.“ Kilfoyle erwiderte, Blair habe bestätigt, dass Nordkorea als Nächstes dran sei, und danach würden Iran, Syrien und Libyen „dieser neuen Pax Americana“ zum Opfer fallen.
Der Labour-Abgeordnete Alan Simpson, der gerade aus den USA zurückgekehrt war, wo er die US-Massenvernichtungswaffen inspizieren wollte, bezeichnete die Regierungsresolution und die darin enthaltene Kriegsrhetorik als „wahren Tiefpunkt“ in der britischen Politik.RALF SOTSCHECK