: Steingewordener Irrtum
Es gibt nie zuvor erprobte Alternativen zum geschlossenen Heim, erklärt Professor Michael Lindenberg von der Fachhochschule des Rauhen Hauses
Interview: KAIJA KUTTER
taz: Sie waren einer der Initiatoren des Hamburger Bündnisses gegen geschlossene Heime. Nun gibt es das seit einem Jahr. Was ist aus Ihrem Bündnis geworden?
Michael Lindenberg: Wir arbeiten weiter. Auch wenn es vielleicht Teile der Fachwelt gibt, die sich mit diesem steingewordenen Irrtum kopfschüttelnd abgefunden haben.
Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) hat die Feuerbergstraße anlässlich des Jubiläums als Erfolg bezeichnet.
Dazu lässt sich nicht viel sagen, weil wir außer geschönten, offiziellen Verlautbarungen nichts erfahren. Die Öffentlichkeit ist völlig ausgeschlossen. Die vom Landesjugendhilfeausschuss geforderte Aufsichtskommission existiert noch nicht. Wir wussten lediglich von einem hohen Krankenstand unter den Sozialarbeitern. Wie jetzt bekannt wurde, hat im Laufe des Jahres die Hälfte des Teams gekündigt. Das ist viel, bedenkt man, dass die dort hoch bezahlt werden.
Bleiben Sie Gegner der geschlossenen Unterbringung?
Ja. In wenigen einzelnen Fällen ist es erforderlich, Kinder und Jugendliche für kurze Zeit festzuhalten. Ich verwahre mich aber dagegen, dafür extra eine Einrichtung zu betreiben. Jetzt, wo es sie einmal gibt, werden die Plätze auch belegt. Das ist wie mit neuen Kleiderhaken im Kindergarten, da hängt auch bald an jedem eine Jacke.
Wo liegt der Schaden?
Darin, dass die Kinder dort Mechanismen erlernen, die für ein Leben in Freiheit nicht hilfreich sind. Ich habe lange als Sozialarbeiter im Gefängnis gearbeitet. Die Menschen sind danach noch hilfloser als vorher.
Gilt es nicht auch, Opfer zu schützen? Nach Informationen aus dem Umkreis des Familieninterventionsteams (FIT) soll es etwa 50 Jungen geben, die sofort in die Geschlossene gehörten.
Man würde wahrscheinlich auch eine Rechtfertigung dafür finden, 500 einzusperren. Jeder Experte wird sagen, dass seine Klientel groß ist, dafür ist er ja auch Experte. Ein Problem bei FIT ist, dass es Kinder als gefährlich definiert und damit eine Kategorie von Gefährlichen schafft.
Handlungen, die vor drei Jahren ganz anders betrachtet wurden, werden durchs FIT anders definiert. Dadurch wird eine Klientel für das geschlossene Heim geschaffen. Die Bestrafungsintensität nimmt zu.
Wir haben in der Jugendhilfe auch Fehler gemacht. Viele Kollegen sind mit diesen Dingen zu lax umgegangen. Wenn aber die gleichen Mittel wie für die Feuerbergstraße für die Betreuung in offenen Situationen angewandt würden, wäre das Ergebnis bestimmt nicht schlechter
Wie würde das gehen?
Es gibt Alternativen zum Einsperren. Noch 1998 wurde im Amt für Jugend ein Konzept für „Kinder in Grenzsituationen“ erarbeitet. Demnach würde eine Clearingstelle in den Bezirken dafür sorgen, dass Kindern in Grenzsituationen eine Eins-zu-Eins-Betreuung bei einem geeigneten Träger bekommen und gegebenenfalls den Lebensort wechseln. Diese Clearingstelle wäre etwas anderes als das FIT, das wie ein übergeordnetes Jugendamt agiert und auf Polizeimeldungen reagiert. Das damalige Konzept verstaubt in der Schublade.
Die Sozialsenatorin hat bemängelt, dass bei vielen Minderjährigen trotz zahlreicher Straftaten keine Jugendhilfemaßnahmen erfolgt seien. Da diese aber laut Gesetz einer geschlossenen Unterbringung vorangehen müssen, will sie nun eine Bundesinitiative starten, um das Gesetz entsprechend zu verschärfen.
Es ist kaum vorstellbar, dass bei Jugendlichen mit vielen Straftaten der „Allgemeine Soziale Dienst“ des Bezirks nicht eingeschaltet wird. Sollte es aber tatsächlich solche Fälle geben, sollte gelten,was der Gesetzgeber vorgibt. Schließlich können die Jugendlichen in diesen offenen Hilfen viel besser erfahren, was im geschlossenen Heim erst durch Zwang mühselig hergestellt wird. ‚Dass ihr Verhalten nicht folgenlos bleibt und Betreuer Konfliktsituationen mit ihnen durchstehen‘, wie es die Senatorin selber formulierte.
Wenn es nun aber die Gefahr weiterer Straftaten besteht?
Müsste trotzdem geprüft werden, ob nicht andere Hilfen greifen. Wie kann man sagen, dass etwas versagt, wenn man es gar nicht erst versucht.