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Archiv-Artikel

Gepanzert mit zarten Chips

Schöner lügen: In der Ausstellung „Lies, Lust, Art & Fashion“ ist die Mode den Kunstmachern ein williger Partner für Spiel, Witz und Sex. Mit Riechkino, Pillenkleidern und kunstfeindlichen Krawatten

VON BRIGITTE WERNEBURG

Schade, dass man nicht dabei war, als Jimmie Durham Jackets, Mäntel und andere Kleidungsstücke in Grafit tauchte, um sie in einem Atelier des Podewils gegen die weiße Wand zu werfen, wo sie mehr oder minder geheimnisvolle Abdrücke hinterließen. Das wäre sicher eine schöne Performance gewesen. Nun betrachtet man das zart gezeichnete Endprodukt an der Wand und staunt über den melancholischen Charme, den der fragile Abdruck besitzt. Ein bisschen Pompeji, ein bisschen Memento mori. Mode schon auch, aber als sehr erweiterter Begriff.

So ist die leider nur vierzehn Tage dauernde Ausstellung des Podewil, „Lies, Lust, Art & Fashion“ auch konzipiert: als Feldforschung, wie denn im Bereich der Kunst die Mode ins Spiel kommt. Was denn Künstler und Künstlerinnen, deren Hauptanliegen Mode und Kleidung nicht unbedingt sind, mit diesem Thema anstellen. Kuratiert wurde die Schau um die Lügen und die Lust, die mit der Mode und der Kunst einhergehen, von dem israelischen Künstler Dodi Reifenberg. Ihn assoziiert man mit Ersatzblumen aus bunten Plastiktüten, die er in seinen Performances einsetzt. 21 internationale Künstler wurden eingeladen, die ihre Installationen oft speziell für die vielen Zimmer an den langen Gängen des Podewil entworfen haben.

Fabrice Hybert zeigt den Film „Odourama“, bei dem die Kamera über einen Körper wandert, wobei an bestimmten Körperstellen, etwa den Kniekehlen, Nummern auftauchen. Beim Eintritt in das Kunstkino bekommt man eine kleine Palette mit nummerierten Abteilungen in die Hand gedrückt, die auffordert, die entsprechende Nummer zu reiben, um dann mit sehr verschiedenen, angenehmen oder eben eher ekligen Gerüchen konfrontiert zu werden. Auch Ana Laura Aláez’ Videoinstallation entstand für das Podewil. Begleitet von harten Club-Beats und der Gesangsstimme der Künstlerin, zeigt der Film in rhythmischer Abfolge die extrem geschminkten Gesichter ihrer Freundinnen. Eine Body Sculpture Performance, die trotz ihrer eingängigen Ästhetik ungewöhnlich deutlich erkennen lässt, welch tatsächlich künstlerisches Material ein Gesicht darstellen kann, schaut man nur einmal über die konventionellen Vorstellungen des Schminkens hinweg.

Überhaupt scheint der Umgang mit Mode und Kleidung, wenn er sich in bildhauerischer Absicht mit der Plastizität des Körpers beschäftigt, die spannendsten Ergebnisse zu liefern. Nirgends sonst in der Ausstellung macht Lakonie so viel Sinn wie in den Skulpturen. Der Material gewordene Widerspruch: Sybille Kesslaus Panzerjacke aus zarten Kartoffelchips. Eine prägnantere Aufklärung über Biopolitik ist kaum zu liefern als von „Pharmacopoeia“, die ihr Ballkleid „Come Dancing“ mit allen von einer Frau während ihres fruchtbaren Lebens benötigten Antibabypillen verziert – samt einer kleinen Spirale an der Taille. Amit Epsteins „JEWellery“ ist ein Collier aus Goldzähnen, neben dem ein Text dem Betrachter weiter auf die Sprünge helfen will. Unnötigerweise, denn der Titel und das Collier werden – zumindest in Deutschland – jederzeit mit dem Holocaust in Verbindung gebracht.

Jamie Reid entwarf T-Shirts für die Sex Pistols, die nun die Wand mit Pop-Nostalgie schmücken: Bei ihm ist man sich nicht sicher, ob er den Körper oder das Bild meint. Denn er stellte seine Motive stets schon als Bild-Zitat auf das T-Shirt. Ähnlich nutzt Chris Newman seine merkwürdigen Kleiderkonstruktionen, die aus Leinwand mit gemalten Bildresten bestehen und dennoch Hosenbeine haben oder Krawatte tragen. Dabei halten die Hosenbeine und Krawatten die Leinwand, die sie gleichzeitig zu erwürgen scheinen. Lakonie kommt dann aber auch ins Bild, in Olav Westphalens Comic: Da listen die Krawatten des Vernissagenpublikums Solo- und Groupshows auf.

Wer hat den längsten? Wahrscheinlich das Model mit der Gianni-Versace-Tüte über dem Kopf. Erstmals in Deutschland präsentiert der niederländische Fotograf Erwin Olaf, der zuletzt mit extrem durchdachten Fotoinszenierungen Furore machte, die Edellogos der Designer auf pornografisch entblößten weiblichen und männlichen Körpern. Prächtige Schwänze und kostbar ausgestellte Mösen korrespondieren mit den gesichtslosen Logos von Giucci, Prada usw. Obwohl sie so intendiert sind, tut man sich einen Gefallen, wenn man die gezeigten Fotografien nicht als Kritik an der Modeindustrie betrachtet. Denn erst als Apologie der Geilheit der Mode machen sie die Begriffsreihung „Lies, Lust, Art & Fashion“ wahr.

Bis 24. Januar, tägl. 12–20 Uhr, Podewil, Klosterstraße 68–70, Eintritt 4 Euro