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Archiv-Artikel

Wider die öffentliche Entfeierung

Ralph Giordano protestiert gegen das Storno der Ehrung des diesjährigen Friedenspreisträgers der Villa Ichon. Martin Rooney sei „wie nur wenige andere ein Anwalt der Menschlichkeit“. Die taz bremen dokumentiert den Brief des Publizisten in Auszügen

Von Ralph Giordano

Ich protestiere gegen die Absetzung der öffentlichen Ehrung von Dr. Martin Rooney mit dem Kultur- und Friedenspreis der Villa Ichon am 8. März 2003!

Der Skandal trägt drei Namen: den von Ichon-Hausherrn Klaus Hübotter, den von Dr. Dr. Heinrich Hannover und den der Mehrheit des Vorstandes, die der Absetzung zugestimmt hat. Was ist das ‚Verbrechen‘ des Mannes, dem diese Kränkung widerfährt? Martin Rooney hatte sich in einem Leserbrief der Bremer taz über eine der fürchterlichen Wahrheiten in unserer fürchterlichen Zeit empört: Über die totale Abwesenheit des Erzschurken Saddam Hussein in der Vorstellungswelt [...] des zeitgenössisch-deutschen Pazifismus! Nichts wird den Oberfolterer von Bagdad mehr entzückt haben als dieses seit 1991 streng durchgehaltene Defizit. Das ist [...] das ‚Delikt‘ Martin Rooneys, von dem ich in meinem Grußwort zum 8. März 2003 geschrieben habe: Dass er mir „als Ethiker Moralist und Humanist Hochachtung einflößt, wie nur wenige andere, ein Anwalt der Menschlichkeit“. Es ist ein Leben für die Schwachen, für die Verfolgten, und für die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern im türkisch-osmanischen Reich von 1915/16. Durch ihn nun soll der Ichon-Preis, so Heinrich Hannover [...] „nachhaltig beschädigt“ worden sein? [...] Martin Rooney hat seine Karten auf den Tisch gelegt, [...] weil es nichts zu verheimlichen gibt, eine offene Vita. Darf ich fragen, was es mit der Vita der zwei Herren auf sich hat, die da als Initiatoren in diesem Trauerstück den Dirigentenstab schwingen [...]? Was ist mit den Biographien dieser selbsternannten Richter? [...] Wo stand der Träger des Ichon-Preises 1987 Heinrich Hannover im nämlichen Jahr? Und wie wird man als Bundesbürger Doktor der Ostberliner Humboldt-Universität zu frühen DDR-Zeiten? [...] Wird hier etwa mit unserm Gedächtnisschwund gerechnet? Dann sei doch daran erinnert, dass die DKP nie etwas anderes war, als der Wurmfortsatz der SED [...]. Da ist die ‚Muttermacht Sowjetunion‘ vor fast 15 Jahren an ihren eigenen Lügen [...]implodiert und hat die ganze Welt umgestülpt – nur in den Köpfen der DKP-isten [...]hat sich nichts geändert: Amerika der Weltfeind Nr.1 und Großer Satan, und Israel, natürlich die Wurzel aller nahöstlichen Übel, der Kleine Satan. [...]

Friedensbewegung? Ich habe jedes, aber auch jedes Recht, gegen einen Pazifismus zu sein, der, wäre es nach ihm gegangen, immer noch Milosevic in Belgrad und die Taliban in Kabul sähe. Und dem die 200.000 ermordeten Bosnier offenbar völlig gleichgültig waren [...]. Schöner Pazifismus! Ich habe jedes Recht, gegen eine Bremer „Deutsche Friedensunion“ zu sein [...], von der der DFU-Geschäftsführer Ekkehard Lenz 1990 zugeben musste, dass sie zu 80 Prozent von der DDR finanziert worden war. [...] Nach dem 18-bändigen Bericht der Enquete Kommission zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte ist die DKP bis zur Wende [...] zu 95 Prozent und die DFU zu über 90 Prozent von der DDR finanziert worden. Wo sind wir denn, dass Leute, die mit diesem Trojanischen Pferd [...] gemeinsame Sache gemacht haben, bei uns in einer durchaus kontrovers auszutragenden Frage – nämlich Krieg oder keinen Krieg gegen Saddam? – die Entscheidungsmaxe über einen Andersdenkenden mimen dürfen? [...] Ein Wort noch an den Vorstand des „Kultur- und Friedenspreises“ der Villa Ichon, oder genauer, an seine Mehrheit: Sie ängstigen mich mit Ihrer Entscheidung, nicht in einem persönlichen Sinn, wohl aber einem politischen. Und diesmal kommt die Gefahr nicht von rechts[...]. Diskriminiere ich nun etwa mit meinem Protest gegen die Absetzung der [...] Ehrung des britischen Germanisten Dr. Martin Rooney am 8. März 2003 jene vielen Menschen bei uns, die Furcht vor einem möglichen Krieg zeigen? Ganz im Gegenteil [...]. Nur – über die These des „unconditional peace“, also des Friedens um jeden Preis, lässt sich sehr wohl streiten. Denn selbstverständlich bringe ich, Überlebender des Holocaust, diese Haltung [...] in Verbindung mit einer Zeit, in der meine Familie und ich tödlich bedroht waren. Wovon? Von der Gestapo, dem Würgeisen der Rassengesetzgebung, denunziatorischen Nachbarn [...] – richtig. Aber mehr als alles andere haben wir appeasement gefürchtet, die Beschwichtigungspolitik der anderen Mächte gegenüber Hitler [...]. Erst wenn sie obsiegt hätte, wäre für uns jede Hoffnung auf Befreiung dahin gewesen, jede.

Pazifismus in einer nichtpazifistischen Welt kann eben auch Zementierung von Gewaltherrschaft bedeuten, und das sehnlichste, was sich unnachgiebige [...] Gewaltherrscher wünschen, ist der „Friede um jeden Preis“ – um ihn selbst jederzeit brechen zu können. Mit seinem Leserbrief hat Dr. Martin Rooney, der öffentlich Entfeierte, nichts anderes getan, als auf diese Problematik hinzuweisen.[...] Ende ich deshalb, was [...] verständlich wäre, mit „Deutschland, mir graut vor dir“? Ich sage lieber: „Bremen, überleg es dir noch einmal.“