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Archiv-Artikel

„Technologisch ist echter Krieg überflüssig“

In „Erkennen und Verfolgen“ fragt Harun Farocki, was zivile Produktion und Krieg verbindet (Sonntag, 22.10 Uhr, 3Sat)

taz: Es gibt einen erstaunlichen Schnitt in dem Film. Man sieht einen stilisierten NS-Lehrfilm über eine V1-Rakete. Dann folgt eine digitale Simulation, die zeigt, wie eine Rakete ein Schiff in Brand setzt. Dazwischen liegen 60 Jahre – weshalb wirkt dieser Schnitt so nahtlos?

Harun Farocki: Die technische Kontinuität ist enorm. Es gibt in dem Film Bilder eines deutschen Projektils mit einer eingebauten Fernsehkamera von 1942, die den Bildern aus dem Golfkrieg unglaublich ähnlich sind. Interessant ist auch: Der V1-Film ist ein reiner Lehrfilm. Trotzdem haben sich die Macher die Mühe gemacht, das Meer, das die V1 überfliegt, mit glitzernden Wogen auszuführen.

Warum?

Dieses Glitzern des Meeres ist ein Zeichen, dass auch in der Welt der technischen Funktionsbildern eine emotionale Anmutung gebraucht wird. Auch in den Computersimulationen, die auf Militärmessen gezeigt werden, macht man sich die Mühe, noch ein Fußballstadion zu zeigen, das überflogen wird, ehe das Projektil einschlägt. Es reicht nicht, dass ein Ziel getroffen wird, das Schiff muss auch brennen. Das ist erstaunlich: Die Werbung für die Waffen soll täuschend echt wirken. Die Kriegsberichterstattung wird immer abstrakter, die Promotion immer konkreter oder imaginativer.

Die Golfkriegsbilder sind Propaganda, suggerieren einen Krieg ohne Opfer. Aber die Menschenleere in diesen Bildern verweist auf eine tieferen Zusammenhang: das Verschwinden des Menschen aus den Fabriken und den Schlachtfeldern.

Ja – und es ist auch komplizierter. Richtig ist, dass der Bombenkrieg, etwa in Vietnam, die Zivilisten treffen sollte. Der heutige, hochtechnische Krieg rechnet nicht auf den Menschen, er nimmt die Opfer höchstens billigend, sogar missbilligend, in Kauf. Mit den Fabriken ist es so ähnlich. Sie werden hier im Westen menschenleer. Dafür gibt es anderswo sweat shops.

Führt diese Waffentechnik ein „Eigenleben“? Nach dem Motto: Es gibt sie, also muss sie eingesetzt werden?

Nein, zumindest nicht in dem Sinne einer sich selbst erfüllenden Mechanik, so wie man in den 70er-Jahren glaubte, dass es Krieg geben muss, weil die Profitrate sinkt. Ich glaube, dass auch die Rolle des Militärischen als Anschub für die zivile Produktion schwindet. Der 2. Weltkrieg hat ja ungeheuer viele Innovationen hervorgebracht: vom Düsenflugzeug bis zur Stereoanlage. Heute, in digitalen Zeiten, würden Kriege aus dem Rechner genügen, um Erfindungen zu generieren. Vom Standpunkt der Technologie wird echter Krieg nicht mehr benötigt.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE