heute in bremen : „Jenseits des derzeit Vorstellbaren“
In Bremen werden die Perspektiven europäischer Sozialpolitik diskutiert
taz: Ist das „soziale Europa“ nicht nur eine schöne Illusion, Herr Wiesenthal?
Helmut Wiesenthal, emeritierter Politikwissenschaftler: Ein Stück weit, ja. Die Sozialpolitik ist in der EU immer nur ein Thema zweiter Ordnung.
Die Nationalstaaten sehen das als ihren ureigensten Hoheitsbereich.
Ja. Der Versuch, materiell einheitliche Standards zu etablieren, würde ganz erhebliche Einigungsprobleme aufwerfen.
Also wird es keinen europaweiten Mindestlohn geben?
Das ist jenseits des derzeit Vorstellbaren.
Was hat die EU-Sozialpolitik bislang erreicht?
Seit den 90er Jahren hat sie sukzessive Fortschritte gemacht. Aber eben nicht so, wie sich das manche vorgestellt haben – mit einheitlichen Bedingungen, die dann auch noch Wettbewerbsschutz dort ermöglichen, wo die Standards besonders hoch sind. Aber die Bedingungen für Frauen am Arbeitsmarkt etwa sind wesentlich durch EU-Politik verbessert worden. Insgesamt sind die Ergebnisse für Deutschland zwar relativ schwach – aber sie helfen erheblich in den Ländern, die wirtschaftlich aufholen müssen.
Wie sehen Sie die Perspektiven?
Die Ziele, die sich die EU selbst gesetzt hat, lassen sich doch nicht so erreichen wie erhofft. Es kann für 27 Staaten keine verbindlichen Regelungen geben – nur Empfehlungen. Alles, was zu Lasten der Unternehmen geht, können die Vertreter der Kapitalinteressen mit guten Gründen abwehren.
Fragen: Jan Zier
20 Uhr, Europa.Punkt.Bremen im Haus der Bremischen Bürgerschaft, Diskussion mit der grünen Europaabgeordneten Helga Trüpel