: Entschleunigung für das Viertel
Grünes Verkehrskonzept für das Steintor: Autos sollen hinein dürfen, doch Fußgänger kriegen Vorrang. So soll der Verkehr verlangsamt – und der Lärm trotz Kopfsteinpflaster gesenkt werden
von Christian Jakob
Es sei nicht nur die Frage nach Steinen oder Teer, nach Lärm oder Stadtbildzerstörung. Es gehe um „das letzte lebendige Unterzentrum der Stadt“, sagte Peter Rüdel, Sprecher des Beirats Östliche Vorstadt. Ob die Sanierung des Steintors, die nach dem Kirchentag im Mai beginnt, das „einmalige Flair“ des Viertels erhalte, sei entscheidend für die Zukunft des Stadtteils.
Gestern präsentierte die grüne Fraktion im Beirat Östliche Vorstadt ihre Lösung für den Straßenbau-Streit. Das Zauberwort: „Begegnungszone“. So nennt sich – „wunderbar neutral“, wie Beiratsmitglied Rainer Stadtwald fand – ein verkehrspolitisches Konzept aus der Schweiz. Alle, also auch Autos, dürfen in eine Begegnungszone hineinfahren. „Niemand wird ausgegrenzt“, sagte Stadtwald. Fußgänger jedoch erhalten Vorrang und dürfen jederzeit und überall die Straße überqueren.
Auf diese Weise soll sich der Verkehr drastisch „entschleunigen“, wie Rüdels Fraktionskollege Stefan Eilers erklärte. „Die Mischung der Verkehrsströme verlangsamt viel effektiver, als ein Tempolimit alleine.“ Niemand soll künftig mit mehr als 20 Stundenkilometern zwischen dem Ziegenmarkt und der Lüneburger Straße unterwegs sein. Noch sind dort 30 km/h erlaubt.
Im Gegenzug für die Aufwertung ihrer Rechte als Verkehrsteilnehmer dürfen Fußgänger den Verkehr in einer „Begegnungszone“ „nicht unnötig behindern“. „Wenn jemand mutwillig vor einem Auto herläuft, soll das auch mit einem Bußgeld geahndet werden“, sagte Rüdel. Für ihn, Stadtwald und Eilers ist damit allen gedient: Die „berechtigten Interessen“ der Lärmgegner seien gewahrt. „Bei 20 km/h sind die Abrollgeräusche auf dem Pflaster ebenso laut wie das Motorgeräusch.“ Damit entfalle der wichtigste Grund, eine Asphaltdecke einzuziehen.
Für Radfahrer sei es wegen der geringeren Verkehrsgeschwindigkeit angenehmer, auf der Straße zu fahren. „Die werden dann von den Autos nicht mehr so von der Straße gedrängt, also werden sie auch nicht mehr so oft auf den Bürgersteig ausweichen“, sagte Rüdel – wovon die Fußgänger profitierten.
Mit dem vieldiskutierten „Shared Space“ sei die „Begegnungszone“ nicht zu verwechseln: „Es soll nicht eine Ebene für alle geben,“ so Eilers. Der angehobene Bürgersteig soll erhalten bleiben. All dies wahre den Ortscharakter – und spart Geld. Sowieso sei die in der Schweiz schon in 80 Städten umgesetzte „Begegnungszone“ „weitgehend kostenneutral“, sagte Eilers.
Dennoch sind offenbar nicht alle begeistert. „Mit dem Amt für Straßen und Verkehr liegen wir total über Kreuz“, sagte Rüdel. „Die wollen unbedingt Asphalt.“ Das Ressort war für eine Stellungnahme am Mittwoch nicht zu erreichen.
Am 11. November soll der 16-köpfige Beirat über das Verkehrskonzept für das Steintor entscheiden. Die Grünen verfügen dort über sieben Sitze, müssen also noch Überzeugungsarbeit leisten. Insgeheim hoffen sie dabei auf die CDU. „Die ist ja häufig auf Seiten der Kaufleute – und die wollen Autozugang und Pflaster“, weiß Rüdel. Votiert der Beirat gegen den Willen der Behörde für die „Begegnungszone“, dann, so fürchtet Rüdel, werde diese ein förmliches Planfeststellungsverfahren einleiten. „Das verschiebt alles um mindestens ein Jahr.“
Peter Christoffersen von der „Interessengemeinschaft Viertel“ wollte sich zu der „Begegnungszone“ vorerst nicht äußern. Die „Erreichbarkeit“, also der Autozugang, sei aber wichtig. Dass Straßenbahnen in dem Bereich künftig für jeden Fußgänger stoppen sollen, löst bei der BSAG zumindest keine Abwehrreflexe aus. „Wir sind für alle Konzepte offen, die die Lebensqualität erhöhen“, sagte BSAG-Sprecher Jens-Christian Meyer. Die Fahrplanauswirkungen müssten jedoch geprüft werden.