: Umherschwirrende Begründungen
Der überarbeitete Entwurf zum Doppelhaushalt 2004/2005 wird heute im Abgeordnetenhaus diskutiert. Streit zwischen dem rot-roten Senat und der Opposition ist vorprogrammiert. Bundesregierung lehnt Sonderhilfen für die Hauptstadt weiter ab
von RICHARD ROTHER
Die Retourkutsche kam prompt: Sorgte der Grünen-Haushaltsexperte Jochen Esser mit seiner Forderung nach einer Berlinsteuer zu Wochenbeginn für Furore, so kann er seine Ideen heute noch einmal im Parlament erläutern. Der Anlass ist eine aktuelle Stunde, die SPD- und PDS-Fraktion eingebracht haben. Deren genüsslich gewählter Titel: „Nach dem Verfassungsgerichtsurteil: Sondersteuern als Patentlösung?“ Bis auf die Grünen lehnen alle Fraktionen die Berlinsteuer ab, mit der vor allem Wohlhabende mehr zur Finanzierung sozialer und Bildungsaufgaben herangezogen werden sollen.
Das eigentliche Thema – und Anlass diverser Protestaktionen – ist heute die erste Lesung des überarbeiteten Haushaltsentwurf für 2004/2005, den der Senat vorgelegt hat. Nachdem das Landesverfassungsgericht den Etat 2002/2003 wegen unzureichender Begründungen für nichtig erklärt hatte, musste auch der neue Doppelhaushalt überarbeitet werden. Der Neuentwurf sieht nun nicht nur weitere Kürzungen vor (siehe Kasten). Für alle Bereiche werde auch nachgewiesen, dass die geleisteten Ausgaben nach Bundes- oder Landesrecht zwingend seien, erklärte die Finanzverwaltung.
Doch die Opposition ist damit nicht zufrieden. Über zwölf Seiten werde eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts beschworen, die es erlaubt, mehr neue Schulden aufzunehmen als Investitionen zu tätigen, „doch Konsequenzen sucht man vergeblich“, kritisiert Esser. Keine einzige Maßnahme zur Stärkung der Wirtschaftskraft finde sich im neuen Haushalt. Dabei bleibe die Wirtschaftsschwäche Berlins das größte Haushaltsrisiko.
Die Planung des Senats, zwischen 2012 und 2015 einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen, erfordert einen jährlichen Zuwachs der Steuereinnahmen von 3 Prozent, argumentiert Esser weiter. Dies setze ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent und eine stabile Bevölkerungsentwicklung voraus. Beides habe es in den letzten zehn Jahren nicht gegeben. Der eine oder andere Ansiedlungserfolg, der etwa den Hamburger Senat auf die Palme brachte, hat daran nichts geändert – er war eher ein Tropfen auf dem heißen Stein. Nach wie vor hat Hamburg eine erheblich größere Wirtschaftskraft als das 40 Jahre lang vom Weltmarkt weitgehend abgeschottete Berlin.
Allerdings: Auch im neuen Landesetat wird die Neuverschuldung die Ausgaben für Investitionen übersteigen – eigentlich verfassungswidrig. Ein Anlass für eine neue Klage wäre also gegeben. Konkret scheint die Opposition dies jedoch nicht zu planen. Ausschließen könne man aber nie etwas, hieß es.
Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) forderte unterdessen, auch nach 2007 den Sparkurs fortzusetzen – auch wenn Berlin die erhofften zusätzlichen Bundeshilfen in Höhe von 35 Milliarden Euro bekäme, die Berlin vor dem Bundesverfassungsgericht einklagt. Sarrazin: „Ein positives Urteil für Berlin stellt unsere Schuldenuhr um acht Jahre zurück, nicht mehr und nicht weniger.“
Bis dahin ist es aber ein weiter Weg. Nach Ansicht der Bundesregierung liegt nämlich das Berliner Defizit nicht an der hohen Verschuldung, sondern an den zu hohen konsumptiven Ausgaben, hieß es in einer Antwort der Bundesregierung auf ein parlamentarische Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Die konsumptiven Ausgaben müssten einschneidend gesenkt werden. Studentischer und anderer Protest ist vorprogrammiert – ob mit oder ohne Berlinsteuer.