OFF-KINO : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
„Alle Menschen sind Verbrecher, jeder ist schuldig“, hatte Jean-Pierre Melville bereits den Polizeichef in „Vier im roten Kreis“ sagen lassen. In „Der Chef“ ist es Kommissar Coleman (Alain Delon), der seinem Assistenten gegenüber äußert: „Zweierlei Empfindungen ruft der Anblick eines Menschen in einem Polizisten wach: tiefstes Misstrauen und Verachtung.“ Die existenzielle Einsamkeit der Menschen, die Auflösung moralischer Grundfeste und die Austauschbarkeit von Polizisten und Verbrechern gehören zu den wiederkehrenden Motiven der stilisierten Gangsterfilme Melvilles. In keinem Werk hat der Regisseur dies jedoch so weit getrieben wie in „Der Chef“: Nicht nur sind Coleman und der Nachtclubbesitzer und Gangster Simon (Richard Crenna) alte Freunde, sie teilen auch die gleiche Geliebte und gehen mit ähnlicher Skrupellosigkeit vor. Der Kälte der Charaktere entspricht die Inszenierung der Umwelt: Fahl fällt das Winterlicht auf ein in schmutzigem Grün-Gelb daherkommendes Paris, in dem selbst der Weihnachtsmann ein Polizeispitzel ist.
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In Joseph L. Mankiewicz’ „All About Eve“ (1950) lässt sich in einer kleinen Rolle Marilyn Monroe erkennen, die eine Schauspielerin verkörpert, der nach einer Leseprobe jegliches Talent abgesprochen wird. Auf ihre verzweifelte Frage, was sie nun tun solle, wird ihr beschieden: „Versuch es doch einfach mal beim Fernsehen.“ Der Seitenhieb auf das damals noch neue Medium musste wohl sein, denn eigentlich geht es in der bösen Tragikomödie um die Bretter, die die Welt bedeuten. Bette Davis gibt mit Aplomb den Bühnenstar Margo Channing, der bereits mächtig mit seinem „Alter“ kämpft: Ihr Lieblingsautor schreibt nur Stücke mit 20-jährigen weiblichen Hauptpersonen, und auch ihr Regisseur und Liebhaber ist einige Jahre jünger als sie selbst. Margos Verlustängste werden zum Albtraum, als sich die vermeintliche Bewunderin Eve Harrington (Anne Baxter) bei ihr einschmeichelt, die es tatsächlich lediglich auf die Rolle der Diva abgesehen hat.
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Während das Deutsche Historische Museum seine Pforten wohl erst im Herbst wieder öffnen wird, nimmt das Zeughauskino nach jahrelangem Umbau nun im Januar seinen Spielbetrieb wieder auf. Dabei stehen mit Jean Renoirs „La carosse d’or“ und Bob Fosses „Cabaret“ zwei Filme auf dem Programm, die ebenfalls Theatergeschichten erzählen: Renoirs amüsante Komödie handelt von einer Commedia-dell’Arte-Truppe, deren weiblicher Star (Anna Magnani) vom peruanischen Vize-König eine goldene Karosse geschenkt bekommt und zum Auslöser von allerlei turbulenten Ereignissen wird. In „Cabaret“ stellte Regisseur Fosse seine Hauptdarstellerin Liza Minnelli erstmals in einem Film auch als musikalische Performerin heraus: Ihre Nummern laufen im Kontext eines Bühnenauftritts ab, kommentieren dabei jedoch die Handlung, was die stets intendierte Austauschbarkeit von Cabaretnummern und Privatleben der Figuren verdeutlicht: „Life is a Cabaret“. LARS PENNING