: Trommelschläge aus der Gruft
Wer hat Angst vorm Wotan-Clan? Und wer lässt sich tatsächlich von einer dunklen Fascho-Band wie Death in June verführen? Zwei neue Bücher klären auf über die Verbreitung und Aneignung von rechtsnationalen Ideologien in Rock und Dark Wave
von ANDREAS HARTMANN
Als kürzlich im Rahmen der „Transmediale“ in Berlin eine Podiumsdiskussion zum Verhältnis von Politik und elektronischer Musik stattfand, da brachte Ted Gaier von den Goldenen Zitronen – nach einer langen Phase des argumentativen Herumeierns auf dem Podium – eines der zentralen Probleme der Debatte auf den Punkt. Er stellte die Frage, ob denn wirklich so selbstverständlich sei, dass jeder in der Runde unter „Politisierung“ dasselbe verstehe. Nämlich solche Issues wie offene Grenzen für alle, Antirassismus und die ganze linke Agenda.
Indirekt machte Ted Gaier auf die grassierende Mode aufmerksam, dass – ob auf Panels, in Popblättern oder von alten Grateful-Dead-Veteranen am Tresen – immer wieder eine Politisierung von Popmusik eingefordert wird und damit automatisch eine Politisierung von links gemeint ist. Weil Pop eben immer noch – selbst nach den Böhsen Onkelz und Rammstein – als traditionell widerständiger und subversiver, als „linker“ Sound wahrgenommen wird, der aber in Zeiten, wo Deutschland den Superstar sucht, leider, leider nicht mehr so richtig gegenkulturell daherkomme wie früher.
Während die Linke also vergeblich nach der Erneuerung verblühter Popvisionen Ausschau hält, war der wahre Poptrend des letzten Jahres nicht etwa türkisch-deutscher Postrock, sondern Nazi-Pop, oder zumindest: Nazi-Pop-Alarmismus. Einmal entfachte die deutsche Ausgabe des Buchs „Lords of Chaos“ von Michael Moynihan und Didrik Soderlind noch einmal eine Debatte darüber, was von Black-Metal zu halten ist, wenn, wie das Buch ausführlichst beschreibt, führende norwegische Black-Metal-Musiker unter Berufung auf Odin, Wotan und „Mein Kampf“ Kirchen anzünden und sich gegenseitig abmurksen. Zumal zu allem Überfluss Moynihan auch noch Mitglied der Band Blood Axis – benannt nach den faschistischen Achsenmächten –, Verleger faschistischer Lektüre und bekennender Holocaustleugner ist.
Zudem tauchte ziemlich unerwartet das Szenario „Nazi-Rap“ auf, das die beiden Autoren Hannes Loh und Murat Güngür zum Anlass nahmen und gleichzeitig mit entwarfen, um ihr Buch „Fear of a Kanak Planet“ zu schreiben. Die These ihres Buchs lautet: Mit den Fantastischen Vier begann die Deutschtümmelei der hiesigen HipHop-Szene, und demnächst müssen wir mindestens so etwas Gespenstisches wie den Wotan-Clan unter der Ägide der NPD befürchten. Nachdem das Neonazi-Magazin Rocknord einen Artikel unter der Überschrift „HipHop wird schneller weiß, als man denkt“ auf ihre Internetseite stellte, ging in einschlägigen Nazi-Foren förmlich die Post ab. „Der Nationalsozialismus basierte immer auf der Masse, und wenn die Masse halt nationalen HipHop anhört – warum nicht?“ oder „Es hat Nachteile, weil mich die Negerrapper auch gehörig ankotzen, aber beim Kampf um die Jugend muss man auch zu radikalen Mitteln greifen“ – so und so ähnlich lauteten die Statements, die sich stramme Deutsche auf diversen Nazi-Foren bereits zugepostet haben.
Ist also selbst HipHop, dieser zutiefst in der afroamerikanischen Kultur verwurzelte Sound, nicht mehr davor gefeit, zumindest teilweise ins Milieu einer rechten Jugendkultur abzudriften? Und falls es so wäre – falls wirklich, wie bereits befürchtet, Nazi-Rapper sogar regelrechte Songs zusammenreimen könnten: Wäre das denn wirklich so schlimm? Rock hat das Entstehen von Nazi-Rock schließlich auch überlebt. Und wenn der Popschreiber Martin Büsser in seinem Buch „Wie klingt die neue Mitte“ anlässlich eines Massenauflaufs von Toten-Hosen-Fans, die beim Konzert kollektiv mit gestrecktem rechtem Arm zu sehen sind, meint, „man sollte nur noch Musik trauen, die zu solchen Gesten erst gar keinen Anlass gibt“, ist das ausgemachter Blödsinn: Als gäbe es tatsächlich eine musikalische Unschuld, die vor falscher Vereinnahmung sicher wäre.
Man sollte vor allem einem Antifa-Alarmismus nicht trauen, der, sobald er das Gespenst des Faschismus irgendwo „Buhu“ zu machen meint, die Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten innerhalb von Jugendkulturen nicht mehr sehen möchte. Die billige Provokation einer Band wie Rammstein, die den Videoclip zu ihrer Single „Stripped“ mit Ausschnitten aus Leni Riefenstahls „Olympia“-Film bebilderten, funktionierte: Weil man sie funktionieren ließ und den Clip, wie von der Band und ihren Marketingberatern erwartet, skandalisierte. Für Klaus Farin vom Berliner Archiv für Jugendkulturen und Burkhard Schröder, die beide einschlägige Literatur zum Thema Nazismus und Pop publiziert haben, steht jedenfalls fest, dass deutsche Zensurbehörden und andere Alarmisten den Hype um Nazi-Pop nicht verhindert, sondern überhaupt erst ausgelöst haben. Nicht jeder Skin ist gleich ein Fascho, nicht jeder an Esoterik interessierte Gruftie gleich ein Opfer düsterer Nazi-Ideologen. Gerade weil in der öffentlichen Wahrnehmung aber immer noch nur eine mangelnde Bereitschaft herrscht, derartige Subkulturen differenziert wahrzunehmen, können Standardwerke wie das von Christian Dornbusch und Jan Raabe herausgegebene „Rechtsrock – Bestandsaufnahme und Gegenstrategien“ und „Ästhetische Mobilmachung – Dark Wave, Neofolk und Industrial im Spannungsfeld rechter Ideologien“, herausgegeben von Andreas Speit, nur begrüßt werden. Vor allem „Rechtsrock“ fasst noch einmal ausführlich die Geschichte des Nazi-Rock und der Skinhead-Kultur zusammen, bietet in einem umfangreichen Verzeichnis eine internationales Liste von Rechtsrockbands und alles Wissenswerte zu Nazi-Codes, Symbolen und Zeichen. Außerdem begnügen sich die Autoren nicht nur damit, ein genaues Bild des Gegenübers zu zeichnen, sondern dokumentieren auch sozialpädagogisch wertvolle „Gegenstrategien“: Wo und wer sind die Bündnisse gegen rechts? Was sind die Möglichkeiten akzeptierender Jugendsozialarbeit bei jugendlichen Nazis?
Schlaue rechte Grufties
Während „Rechtsrock“ vieles zusammenfasst und auf den neuesten Stand bringt, was bereits aus dem von Max Annas und Ralph Christoph herausgegebenen Reader „Neue Soundtracks für den Volksempfänger – Nazi-Rock, Jugendkultur & Rechter Mainstram“ von 1993 und aus einschlägigen Publikationen von Klaus Farin und dem Berliner Archiv für Jugendkulturen bekannt war, bewegt sich „Ästhetische Mobilmachung“ auf weit weniger erforschtem Terrain. Neben ein paar über die letzten Jahre hinweg erschienenen Artikeln zum Thema ist dies der erste überblicksartige deutschsprachige Reader zur angeblichen Unterwanderung der Gruftie-Szene durch die Neue Rechte.
„Ästhetische Mobilmachung“ beschreibt sehr ausführlich, wie sich speziell das Vorzeigeblatt der Neuen Rechten, die Junge Freiheit, für das Gewese der schwarzen Szene interessiert und 1996 mit einer Anzeige des Blattes im Gruftie-Magazin Zillo die versuchte Annäherung stattfand. Die neuen Rechten begannen sich damit für diejenigen zu interessieren, die sich für alten Nazi-Kitsch interessieren. Denn anders als Nazi-Skins, die für die Neue Rechte nicht mehr sind als ihr Prügelkommando, scheinen rechte Schwarzkittel für die eigentlichen Ziele der Neuen Rechten, den Kulturkampf, viel aufgeschlossener zu sein. Rechte Goths verstehen sich selbst als Avantgarde, die sich daheim – natürlich im Dunkeln und bei Kerzenschein – Klassiker der Rassentheorie reinziehen. Anders als Nazi-Skins, hätten diese „Intellektuellen“ beim gepflegten Heimatabend und Freibier mit NPDlern aber wohl nur wenig Spaß.
Der rechte Flügel der schwarzen Szene beschäftigt sich mit Nazi-Kitsch, der eine Nähe zu Todesmythen zelebriert: Der Tabubruch wird, was die Aneignung einer Nazi-Ästhetik angeht, geradezu gesucht. Auch wenn „Ästhetische Mobilmachung“ eine höchst interessante und faktenreiche Materialsammlung über das Treiben von „Dark Wave, Neofolk und Industrial im Spannungsfeld rechter Ideologien“ ist, wird jedoch ausschließlich über die Macher, die namhaften Protagonisten der Szene berichtet. Anders als in „Rechtsrock“, erfährt man jedoch nichts über die Aneignungspraktiken von Käufern dieses mit faschistischer Ästhetik hoch codierten Gruftie-Sounds. In welchen Kreisen zirkulieren diese Platten? Wie „gefährlich“ sind sie wirklich?
Ohne auf diese Fragen Antworten nicht wenigstens zu suchen, ist die Studie leider nur halb so viel wert. Schließlich kursieren die Platten, das entscheidende Medium, der Träger der inkriminierten Botschaften, sehr oft auch in dezidiert linken Kreisen, die das Goutieren von Kontroversem als Distinktionsgewinn verbuchen und – so falsch das von Fall zu Fall vielleicht sein mag – über das ideologisch Eindeutige vielleicht auch hinwegsehen.
Ästhetischer Mehrwert
Anders als Nazi-Rock, ist dieser Gruftie-Sound meist mehr als bloß Agitationsmusik. Nazi-Rock ist reiner Inhalt, Parolendrescherei, zweckgebunden: zum Hören, Saufen, Türken-Hassen. Dark Wave bietet dagegen einen ästhetischen Mehrwert: Es ist oft interessante, teilweise avantgardistische Musik. Wer meint, dies sei gerade das Perfide an dieser Form rechter Ästhetik, schreibt den Rezipienten als mündigen Hörer ab und verwirft sämtliche Erkenntnisse der Medienwirkungsforschung und der Cultural Studies, um es sich in altbackenen Kulturindustriethesen und überholten Manipulationsvorstellungen gemütlich zu machen. Oder, um es mit Stewart Home und einem Ausschnitt aus seinem Pulp-Roman „Stellungskrieg“ zu sagen, wo die Hauptfigur auf ein Konzert von Death in June geschickt wird – einer Band, die in „Ästhetische Mobilmachung“ als eine der schlimmsten dunklen Nazi-Bands beschrieben wird, deren Spiel mit rechter Ästhetik aber tatsächlich viel ambivalenter ist. Da heißt es über den Protagonisten: „Statt völlig hysterisch auf den geringsten Verdacht rechtsradikaler Rhetorik zu reagieren, hatte Terry genügend Vertrauen in seine nihilistische Überzeugung, die unklare und zweideutige Mythologie von Death in June zu entdecken, ohne sich von ihr verführen zu lassen.“ So kann man es eben auch machen.
Rechtsrock und Gothic mit Rechtsdrall funktionieren jedenfalls unterschiedlich und werden als Jugendkulturen von den reinen Polit-Nazis und der Neuen Rechten auch unterschiedlich bewertet. Rechtsrocker hören agitatorischen Dreck, schlechten Punkrock oder Heavy Metal mit bevorzugt antisemitischem und rassistischem Inhalt, den zu erschließen es keiner besonderen intellektuellen Leistung bedarf. Rechter Dark Wave kursiert dagegen auch in linken und intellektuelleren Kreisen – oder zumindest in einer Szene, die sehr wohl differenzieren kann. Und: So lange Demokratie und Rechtsstaat einigermaßen funktionieren, droht diesem Land seitens bizarrer Dark-Wave-Fantasien weit weniger Gefahr als durch die Umsetzung solcher Gewaltfantasien, wie sie bei Nazi-Rockern zu finden sind. Man mag die S/M-Vision des Death-in-June-Sängers Douglas Pearce erschreckend finden, der zu Protokoll gab, er habe „Helmut K. sexuell immer attraktiv gefunden. Dieser dicke, fette Hintern könnte meinetwegen jeden Tag auf meinem Gesicht sitzen.“ Aber die selbst ernannten Türkenjäger sind doch um einiges ekliger.
Ch. Dornbusch/J. Raabe (Hrg.): „RechtsRock. Bestandsaufnahme und Gegenstrategien“. Unrast, 544 S., 24 €. A. Speit (Hrg.): „Ästhetische Mobilmachung. Dark Wave, Neofolk und Industrial im Spannungsfeld rechter Ideologien“. Unrast, 282 S., 16 €